Der Sarg: Psychothriller
furchtbar. Deine Halbschwester. Ich darf gar nicht darüber nachdenken. Wann hast du sie denn zum letzten Mal gesehen?«
»Ach, das ist mindestens schon fünfzehn Jahre her, wenn nicht länger. Sie hat mich zwar zu ihrer Hochzeit vor neun Jahren eingeladen, aber ich weiß, dass sie das nur auf Druck meines Vaters gemacht hat. Mich wollte sie sicher nicht an diesem Tag um sich haben. Ich bin nicht hingegangen.«
Wiebke legte eine Hand auf ihre, und Eva widerstand dem Impuls, den Arm zurückzuziehen. »Du hast mir bisher so gut wie nichts über deine Familie erzählt, und du wirst sicher deine Gründe dafür haben, aber … deine Halbschwester … ihr habt den gleichen Vater?«
»Ja.«
»Darf ich fragen, was mit deiner leiblichen Mutter ist?«
»Sie ist tot.« Eva sagte es ohne Zögern. »Ich habe sie nie kennengelernt, sie starb bei meiner Geburt.«
»Oh, das tut mir leid.«
»Ja, mir auch.«
»Und dein Vater hat dann wieder geheiratet.«
»Ja, und mit dieser Frau noch eine Tochter bekommen. Inge. Aber können wir bitte das Thema wechseln?«
»Ja, natürlich, entschuldige. Ich wollte dir wirklich nicht …« Wiebke war sichtlich verstört. »Ich bin ganz durcheinander. Aber du wolltest mir doch von diesem Traum erzählen. Und was hast du damit gemeint, du bist dir nicht sicher, ob es ein Traum war?«
Stockend begann Eva zu erzählen. Wiebke hörte ihr zu, ohne sie ein einziges Mal zu unterbrechen. Als Eva fertig war, sah Wiebke sie fassungslos an. »O Gott, Eva, das ist … ich verstehe das alles nicht, aber wenn du das so erlebt hast, und dann diese Nachricht auf der Zeitung, an dem Artikel über … vielleicht solltest du die Polizei verständigen?«
Eva schüttelte den Kopf. »Nein, die werden bestimmt sowieso bald wegen Inge zu mir kommen. Aber von diesem Traum werde ich ihnen nichts sagen. Das ist zu … verrückt. Und bitte, Wiebke, du darfst auch keinem Menschen davon erzählen, das musst du mir versprechen.«
»Ich werde mit niemandem darüber reden, Eva. Aber sag mal, die Verletzungen, die du danach hattest, die sind doch real! Wenn du ihnen die zeigst?«
»Aber das ist es ja gerade, was die Geschichte so komplett verrückt macht. Dass ich nicht wirklich in einem Sarg gelegen haben kann! Wie sollte das auch gehen? Aber dann sind da die Verletzungen. Hab ich mir die etwa selber zugefügt? Und jemand, der sich selbst verletzt, in Verbindung mit der Tatsache, dass er sich an manche Dinge nicht erinnern kann …«
Wiebke dachte einen Moment nach, dann nickte sie. »Ja, ich verstehe, was du meinst. Diese Sache ist auch wirklich seltsam.« Ihr Blick fiel wieder auf die Nachricht am Zeitungsrand. »Und du hast überhaupt keine Idee, wer das gewesen sein könnte? Vielleicht wollte sich ja doch jemand einen schlechten Scherz mit dir erlauben?«
»Nein, ich wüsste niemanden, dem ich so was zutrauen würde. Und woher sollte jemand von meinem Traum wissen? Das ist doch vollkommen verrückt. Nein, das ist kein Scherz.«
Wiebke starrte einen kurzen Moment auf die Tasse vor sich, dann sah sie Eva eindringlich an. »Es gibt da jemanden, an den du dich wenden könntest.«
»Wen meinst du?«
Wieder zögerte Wiebke. Sie senkte den Blick, und es schien fast, als würde sie überlegen, ob sie wirklich weiterreden sollte. Schließlich sah sie Eva an. »Ich habe einen Freund, der absolut vertrauenswürdig ist und sich mit solchen Dingen sehr gut auskennt.«
»Mit welchen Dingen?«
»Na ja, mit seltsamen Erlebnissen, für die man keine Erklärung hat, und auch …«
»Ein Esoteriker?«
»Nein, Eva, Burghard Leienberg ist kein Esoteriker, er ist Psychiater.«
Eine Weile sahen sie sich an, dann stand Eva auf: »Tut mir leid, aber ich habe noch einiges zu erledigen.«
Auch Wiebke erhob sich. »Eva, bitte, ich möchte doch nur helfen, und ich glaube wirklich, ein Gespräch mit …«
»Nein«, schnitt Eva ihr das Wort ab. Wiebke nickte und legte ihr noch einmal die Hand auf den Arm. Dann zog sie ihre Handtasche von der Stuhllehne und verließ die Küche.
9
»Wir wissen, dass Vater und Mutter tot sind, aber wie ich gerade erst von ihrem Mann erfahren habe, gibt es eine Halbschwester in Marienburg. Eva Rossbach, siebenunddreißig Jahre alt, Inhaberin der Rossbach Maschinenbaubetriebe, nicht gerade ein kleiner Betrieb.«
Jutta Reithöfer legte ihre Notizen vor Menkhoff ab und ließ sich in den Stuhl fallen, der schräg neben dem Schreibtisch stand. Menkhoff überflog das Blatt kurz und legte es dann
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