Der Sarg: Psychothriller
nicht, was das mit dem Mord an ihrer Halbschwester zu tun haben sollte. Sie hob die Schultern und antwortete: »Sie war keine sehr herzliche Frau, es gab keine Wärme bei ihr. Aber sonst … eher normal. Ich habe meine leibliche Mutter nicht gekannt, aber was mein Vater mir über sie erzählt hat … Sie wäre sicher eine andere Mutter gewesen.«
»Wann ist Ihre Stiefmutter gestorben?«
» 1988 . Krebs.«
Menkhoff stand auf. »Gut, das war’s fürs Erste, Frau Rossbach. Wir werden sicher noch Fragen haben und melden uns wieder bei Ihnen.«
Eva spürte, dass sie erleichtert war. Sie begleitete die beiden zur Haustür, wo der Beamte, Menkhoff, stehen blieb und sich noch einmal zu ihr umdrehte. »Wie gesagt, schließen Sie bitte sorgfältig ab. Und seien Sie im Moment vorsichtig mit neuen Bekanntschaften. Nur zur Sicherheit.«
»Ja, natürlich«, versicherte Eva und dachte daran, wie wenig Wert sie auf neue Bekanntschaften legte.
Nachdem sie die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, ging sie zurück ins Wohnzimmer und legte sich auf die Couch. Sie war todmüde und musste ein wenig schlafen.
11
Wäre Brittas Leben anders verlaufen, hätte sie vielleicht so etwas wie Verzweiflung oder gar Hilflosigkeit empfunden. Schon nach der Meldung im Fernsehen am Vortag hatte sie geahnt, nein,
gewusst
, dass
er
es gewesen war, der diese Frau lebendig begraben hatte. Jetzt, nachdem sie in diesem Zeitungsbericht den Namen der Frau gelesen hatte, gab es für sie gar keinen Zweifel mehr. Er war schon seit Jahren eine tickende Zeitbombe, das hatte sie gespürt, und sie wusste, dass sie nichts hätte tun können, um die Explosion zu verhindern. Jetzt war es also so weit, und diese Erkenntnis machte sie nicht verzweifelt und nicht hilflos, sondern verdammt wütend.
Dieser Scheißkerl
, dachte sie und schob die Zeitung, die sie sich von der Theke mitgenommen hatte, barsch ein Stück von sich, um den Artikel nicht mehr sehen zu müssen. Es war ihr egal, was er mit der dämlichen Kuh angestellt hatte, aber er versaute ihr am Ende noch das Einzige, was ihr in ihrem gottverdammten Dasein wichtig war.
Sie sah zu der jungen schwarzhaarigen Bedienung hinüber, die gerade im Begriff war, die Gläser vom Nachbartisch abzuräumen. »Noch’n Kölsch.« Die Frau starrte erst sie und dann das noch fast volle Glas Kölsch vor ihr an, und Britta wollte sie schon fragen, was sie nicht verstanden hatte, aber dann nickte die junge Frau und verschwand aus Brittas Blickfeld.
Sie kam öfter in die alte Kneipe am Rheinufer, normalerweise aber eher im Sommer, wenn sie draußen sitzen und den ganzen Leuten zusehen konnte, die am Rhein entlangtrotteten und dabei noch grinsten, als würde es ihnen wirklich Spaß machen. Jetzt hatten die, denen der Laden gehörte, die Stühle und Tische draußen zusammengeklappt, und sie war gezwungen, sich ins Innere der vergammelten, überhitzen Kneipe zu setzen.
Britta überlegte, ob er es bei der einen belassen würde, war sich aber fast sicher, dass ihm die Sache so viel Spaß gemacht hatte, dass er jetzt richtig loslegen würde. Ihre Gedanken lösten sich von ihm und drifteten in eine Richtung ab, wo Britta sie auf keinen Fall haben wollte. Krampfhaft versuchte sie, an etwas anders zu denken, sah sich schnell in der Kneipe um, damit sich ihre Aufmerksamkeit an irgendetwas festmachen konnte, um nur loszukommen von dieser … dieser fürchterlichen Frau. Es nützte nichts, ihre Umgebung verschwamm, die alten Kneipentische, die hässlichen, irgendwann mal goldglänzenden und jetzt vor Schmutz starrenden Wandlampen, die billigen Drucke mit Rheinmotiven dazwischen – sie traten zurück vor diesem Bild, vor dieser Szene, die sich ihr mit unbändiger Gewalt aufdrängte. Ganz deutlich sieht sie ihre Mutter vor sich, …
… das starre Lächeln in ihrem Gesicht, einer Maske gleich, die sie immer trägt, wenn es wieder losgeht. »Was bist du nur für ein undankbares Kind«, hört sie die monotone Stimme, und noch immer sind die Mundwinkel dabei nach oben gezogen, als hätte sie eine spastische Lachlähmung. Britta ist vier und weiß nicht, warum sie in diesem Moment wieder undankbar war, aber das spielt auch keine Rolle, sie hat jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken, sondern muss sich für das wappnen, was nun unweigerlich kommen wird. »Du kleines, starrsinniges Gör. Was soll ich denn nun mit dir tun? Wie soll ich denn froh mit dir sein, wenn du mich immer so furchtbar wütend machst?« Britta wendet den Blick
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