Der Sarg: Psychothriller
aufgeregt von hier nach da rannte –, all das interessierte ihn nicht. Nicht hier.
Er hatte sich verkleidet, weil die Chancen dann besser standen. Wie abwesend saß er hinter dem Steuer, ließ den Wagen mit dem Verkehr rollen und registrierte die fast vollendete Dunkelheit lediglich als Umstand, der ihm für sein Vorhaben entgegenkam. Ab und zu drang ein Grunzlaut aus seinem halb geöffneten Mund.
Nach einer Weile hatte er sich weit genug von der hektischen Betriebsamkeit der Stadt entfernt. Er fuhr durch ein ruhiges Wohngebiet, in dem es nur alle hundert Meter Inseln aus kaltem Licht gab, die den nassen Boden in seiner ganzen schmutzig glänzenden Hässlichkeit zeigten.
Seine Lethargie hatte höchster Konzentration Platz gemacht. Der schwierigste Teil stand ihm nun bevor. Alles andere war vergleichsweise einfach. Schon seit Monaten hatte er sich um die Vorbereitungen gekümmert. Er hatte an verschiedenen Stellen mehrere Gruben geschaufelt. Auch die Kisten lagen schon darin, massiv gezimmert, gut getarnt, verborgen vor den Blicken zufälliger Spaziergänger.
Die wichtigste Aufgabe hatte er erledigt, mit diesem schändlichen Weib, aber er hatte gewusst, dass das nur der Anfang sein würde, der Pflichtteil. Jetzt kam die Kür. Er lachte. Kurz und bellend, hysterisch. Ja, jetzt ging es erst richtig los. Er schlug mit der Faust gegen das Lenkrad. »Miststücke«, zischte er, und wieder sauste die Faust auf das Lenkrad nieder. Überall traf man sie, und sie waren schamlos und verlogen. Sie waren schlecht. Eine Hand ließ das Lenkrad los, legte sich zwischen seine Beine und drückte auf die sündige Stelle. »Miststücke«, stieß er keuchend hervor, während der Druck seiner Hand fester wurde. Er merkte, dass es ihm schwerfiel, sich auf die Straße zu konzentrieren, weil die sündige, die schlimme Stelle an seinem schmutzigen Körper etwas aussandte, das ihn dazu bringen wollte, sofort anzuhalten. Aber das würde er nicht zulassen. Er musste … Plötzlich entdeckte er jemanden schräg vor sich, eine Frau. Sie ging gerade unter einer der Laternen durch, etwa zweihundert Meter vor ihm auf der rechten Seite. Er fuhr noch langsamer, hielt an, sah sich nach links und rechts um, warf einen Blick in den Rückspiegel. Niemand zu sehen. Dort ging so ein Miststück, als sei alles in bester Ordnung.
Er öffnete das Handschuhfach, nahm einen Stadtplan, einen zusammengeknüllten Lappen und eine verschlossene Glasflasche heraus. Dann ließ er die Seitenscheibe seiner Tür herunter, um zu verhindern, dass das Zeug bei ihm seine Wirkung tat. Er faltete den Plan auseinander und legte ihn auf den Beifahrersitz, schraubte die Flasche auf, drückte sofort den Lappen auf die Öffnung und drehte beides zusammen um, so dass der Lappen getränkt wurde. Nun musste es schnell gehen. Der Geruch breitete sich trotz des geöffneten Fensters im Wageninneren aus.
Als er fast auf gleicher Höhe mit ihr war, drehte sie sich zu ihm um. Er bremste neben ihr ab, beugte sich herüber, öffnete die Beifahrertür und sagte: »Entschuldigung.« Seine Verkleidung kam ihm nun zugute. Mit dem Öffnen der Tür schaltete sich die Innenbeleuchtung ein, und das Miststück warf einen Blick ins Wageninnere. Sie war ein junges Ding, er schätzte sie auf Anfang zwanzig. »Können sie mir bitte helfen?«, fragte er und deutete auf die Karte neben sich. »Können Sie mir zeigen, wo ich mich hier befinde? Ich habe komplett die Orientierung verloren.« Einen kurzen Moment zögerte sie, dann lächelte sie und beugte sich zu ihm in den Wagen, um einen Blick auf die Karte werfen zu können. Weit genug. Gerade, als sie den Oberkörper wieder zurückziehen wollte, weil sie wohl den Geruch wahrgenommen hatte, packte seine rechte Hand sie im Nacken, die Linke schnellte vor und drückte ihr den getränkten Lappen auf den Mund. Sie schrie dumpf gegen den Lappen an, versuchte sich zu wehren, hatte durch die vornübergebeugte Haltung aber keine Kraft, wohingegen er das ganze Gewicht seines Oberkörpers auf sie herabpresste. Sie hatte keine Chance. Ihre Bewegungen wurden langsamer, erlahmten, erstarben. Bewusstlos sank sie auf den Sitz, die Beine hingen noch aus dem Wagen. Er ließ von ihr ab, stieg aus und ging um den Wagen herum. Ein schneller Rundumblick – es war noch immer niemand in der Nähe. Zwei Minuten später stieg er wieder ein, zischte: »Na siehst du«, und fuhr los. Er brauchte etwa zwanzig Minuten bis zu der Stelle, die er für sie ausgesucht hatte.
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