Der Sarg: Psychothriller
vermögend ist. Er hat keinen Beruf, arbeitet nicht und lässt sich von ihr aushalten.«
»Das ist eine klare Meinung. Aber immerhin hat sie ihn geheiratet.«
»Ja, weil er ihr den Kopf verdreht hat mit seinem Aussehen und seinen schmierigen Komplimenten. Er hat sie mit Geschenken überhäuft und kam jeden Tag mit einer neuen Überraschung an. Inge hat sich davon blenden lassen und schließlich eingewilligt, ihn zu heiraten.«
»Hm … Was denken Sie, hat sie ihn geliebt? Und er sie?«
Wiebking stieß einen Zischlaut aus. »Er hat ihr Geld geliebt. Und was sie betrifft – ich denke, sie hat ihn bald nach der Hochzeit durchschaut. Von Liebe war da jedenfalls nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil. So, wie die beiden miteinander umgegangen sind, kam mir das eher wie eine lästige Wohngemeinschaft vor.«
»Aber warum hat sich Frau Glöckner dann nicht scheiden lassen?«
»Ich weiß nicht, vielleicht, weil er sie vor ihrer Hochzeit dazu gebracht hatte, keinen Ehevertrag zu machen. Ich kenne mich mit dem Scheidungsrecht nicht so gut aus, aber ich nehme an, sie hätte ihm bei einer Scheidung viel Geld zahlen müssen. Ich kann mich irren, aber ich wette, nun erbt er alles. Er ist jetzt steinreich.«
»Das hört sich fast so an, als würden Sie ihm das missgönnen, Herr Wiebking.« Reithöfer sah ihn erwartungsvoll an.
»Ach, was heißt missgönnen. An dem Kerl ist einfach nichts echt. Er taugt nichts, und ich finde es eine Schande, dass die Hälfte all dessen, was mein Vater zusammen mit Kurt Rossbach in Jahrzehnten aufgebaut hat, nun in die Hände dieses Blenders fällt. Ich gebe ihm fünf Jahre, dann hat er alles durchgebracht.«
»Hm …«, machte Menkhoff. »Eine andere Frage: Ihr Vater ist nicht mehr der Jüngste. Wie wird es mit Frau Rossbachs Firma weitergehen, wenn er aufhört?«
Jörg Wiebking zögerte einen Moment. »Das weiß ich nicht. Noch erfreut sich mein Vater ja bester Gesundheit, und an ein Aufhören ist nicht zu denken. Er ist so in seiner Aufgabe gefangen, die Firma für Eva weiter zu leiten, dass er wahrscheinlich erst aufhören wird, wenn er nicht mehr in der Lage ist, selbständig in sein Büro zu kommen.«
»Haben Sie noch nie mit ihm über das Danach gesprochen?«
»Das ist für meinen Vater noch kein Thema.«
Die Tür wurde nach einem kurzen Klopfen einen Spalt weit geöffnet, und Wiebkings Sekretärin streckte den Kopf herein. »Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber Sie müssen los.«
Er nickte. »Ja, ich weiß, danke«, woraufhin die Sekretärin sich wieder zurückzog.
»Gut, Herr Wiebking, dann halten wir Sie nicht weiter auf. Wir melden uns, wenn wir noch Fragen an Sie haben.«
Auf dem Weg zum Präsidium waren sich Menkhoff und Reithöfer einig, dass es sicher nicht das letzte Gespräch war, das sie mit Jörg Wiebking geführt hatten.
16
Eva stand am Küchenfenster und starrte gegen das Glas. Es war, als würde ihr Blick von der Scheibe reflektiert und ins Nichts umgelenkt, sie nahm nichts von den Dingen draußen in ihrem Garten wahr. Sie hatte versucht, den bisherigen Tag Revue passieren zu lassen, aber mit Erschrecken festgestellt, dass sie es nicht konnte. Ihre Sinne waren wie vernebelt, so als hätte sie starke Medikamente genommen. Da waren nur Bruchstücke – Wiebkes Besuch, dieser furchtbare Traum, das scheinbar nahtlose Erwachen im Wohnzimmer auf der Couch … Ach, und dann war da noch der Besuch der beiden Polizeibeamten, Menkhoff und … der Name der Polizistin fiel ihr nicht mehr ein, sie hatte ihn vergessen. Vergessen. Das schien eines der Hauptmerkmale ihres momentanen Lebens zu sein. Das Telefon läutete. Eva fragte sich, was es ihr bedeutete, dass Inge nicht mehr da war. Ermordet. Lebendig begraben. Während sie davon träumte, auch lebendig begraben zu … Das Telefon. Es läutete noch immer. Wer konnte das sein? Wahrscheinlich Wiebke, genau – sie hatte Wiebke ja gebeten, einen Termin für sie bei ihrem Freund, dem Psychiater, zu machen. Aber was wollte sie überhaupt dort? Das Telefon läutete weiter, und endlich schaffte Eva es, sich vom Fenster loszureißen und den Hörer in die Hand zu nehmen, der neben ihr auf der Arbeitsplatte lag.
Aber es war nicht Wiebkes Stimme, die ihr in geschliffener Art ihr Beileid zum Tod ihrer Halbschwester ausdrückte, sondern die von Hubert Wiebking. »Ja«, sagte Eva. »Danke, Hubert, Das ist sehr aufmerksam. Aber du weißt ja, dass wir uns nicht sehr nahestanden.«
»Ja, Eva. Du wirst nicht um sie trauern,
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