Der Sarg: Psychothriller
lang.«
»Das kann ich verstehen. Und wie war das Verhältnis zwischen Ihnen und Ihrem Vater?«
»Normal.«
»Was bedeutet normal? War er herzlich, streng, nachgiebig …?«
»Darüber möchte ich jetzt nicht sprechen. Eigentlich möchte ich gar nicht mehr sprechen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es gut war, hierher zu kommen.« Evas Bereitschaft, weiter mit Dr. Leienberg zu reden, schwand völlig. Er war doch nur ein typischer Psychofritze mit den typischen, klischeehaften Fragen. Wie war das Verhältnis zu Ihrer Mutter, wie das zu Ihrem Vater. Ah, da ist das Problem, macht zweihundert Euro, auf Wiedersehen. Sie wollte plötzlich nicht mehr dem Blick dieses Mannes ausgesetzt sein. »Ich muss gehen«, sagte sie und stand hastig auf. »Was bin ich Ihnen schuldig?«
Der Psychiater lehnte sich in seinem Sessel zurück, den Stift zwischen Daumen und Zeigefinger beider Hände, und sah sie freundlich an. »Noch nichts, wir haben ja noch nicht einmal begonnen. Setzen Sie sich doch bitte wieder, wir lassen diese Frage jetzt einfach außen vor, ja?«
»Nein, ich muss gehen. Ich … danke Ihnen für den Versuch, aber es ist wohl … Ich möchte jetzt gehen.«
Nun stand auch Leienberg auf. Er zog eine Visitenkarte aus einem metallenen Kästchen, ging um den Schreibtisch herum und hielt Eva die Karte hin. »Auf Wiedersehen. Bitte tun Sie mir den Gefallen und melden sich wieder. Und wann immer Ihnen danach ist, rufen Sie mich an. Vor allem, wenn Sie wieder diesen merkwürdigen Traum haben sollten, von dem ich nun leider noch nichts Näheres erfahren habe. Ich glaube, ich würde Ihnen helfen können, wenn Sie es mir erlauben.«
Sie nahm die Karte und sagte: »Ich weiß es nicht.« Dann wandte sie sich ab und verließ die Praxis.
20
Menkhoff überließ Riedel den Wagen und fuhr mit Jutta Reithöfer zurück zum Präsidium. Die ersten Minuten der Fahrt war er sehr schweigsam, er starrte vor sich hin und fühlte sich innerlich kalt und leer, fast so, als hätte sein Verstand sämtliche Gefühle und Emotionen in eine dunkle Kammer in den Tiefen seines Unterbewusstseins verbannt. Dieser Zustand hatte sich schon in der Vergangenheit immer dann bei ihm eingestellt, wenn ein Verbrechen extrem grausam gewesen war. So schaffte er die nötige emotionale Distanz, die sein Verstand brauchte, um sich analytisch mit dem Fall auseinandersetzen zu können.
»Mir fällt gerade ein, ich habe da gestern Abend noch was Interessantes entdeckt«, riss Reithöfer ihn nach einer Weile aus seinen Gedanken. »Ich habe mir die Unterlagen über die Rossbachs mitgenommen, und in den Papieren vom Standesamt etwas gefunden, das mich überrascht hat.« Sie warf einen schnellen Blick zur Seite.
»Sprich nur weiter, ich höre dir zu«, versicherte Menkhoff ihr und nickte zur Bekräftigung. »Also, da taucht ein weiterer Name auf, ein Bruder des Opfers, Manuel Rossbach.«
»Was? Es gibt noch einen Bruder? Aber warum hat Eva Rossbach nichts von ihm erwähnt?«
»Es gab einen Bruder, muss es richtigerweise heißen. Er ist im Alter von sechs Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen.«
»Hm … Die Sterblichkeitsrate in dieser Familie ist recht hoch. Ich frage mich trotzdem, warum uns niemand etwas von diesem Bruder erzählt hat. Ein Unfall sagst du? Hast du herausfinden können, wie er gestorben ist?«
»Nein, auf der Sterbefallanzeige der Kollegen von damals ist nur der Unfalltod vermerkt.«
»Dann wollen wir mal Frau Rossbach fragen. Wie alt war sie bei seinem Tod?«
»Warte, das ist 1986 passiert, da war sie elf.«
»Hm … Bin gespannt, ob das neue Opfer auch etwas mit der Familie Rossbach zu tun hat«, sagte Menkhoff schließlich grimmig und verschränkte die Arme vor der Brust.
Sie kamen zeitgleich mit Eva Rossbach vor deren Haus in Marienburg an. Während sie aber durch das schmiedeeiserne Tor auf ihr Grundstück und dort über einen Kiesweg bis zur Garage fuhr, die rechts an das große Haus angesetzt war, parkte Reithöfer den Wagen kurz vor dem Tor am Straßenrand. Sie betraten das Anwesen, als Eva Rossbach gerade das Garagentor schließen wollte. Als sie sie bemerkte, betätigte sie einen Schalter an der Innenwand und stoppte den Schließvorgang. »Guten Morgen, Frau Rossbach«, begrüßte Menkhoff sie, noch während sie auf sie zugingen. »Entschuldigen Sie bitte, dass wir Sie wieder stören müssen, aber wir haben noch ein paar Fragen an Sie. Sie kommen sicher gerade vom Einkaufen?«
»Ehm … nein. Nicht vom Einkaufen. Ja,
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