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Der Sarg: Psychothriller

Der Sarg: Psychothriller

Titel: Der Sarg: Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Strobel
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Halbschwester. Wir haben unterschiedliche Mütter.«
    Leienberg sah ihr tief in die Augen, so tief, dass Eva den Blick senkte. »Die Unterscheidung scheint Ihnen wichtig zu sein. Können Sie mir mit ein paar Stichworten Ihr Verhältnis zu Inge schildern? Oder schmerzt es Sie zu sehr?«
    »Nein, es schmerzt mich nicht«, erwiderte Eva leise und sah ihn wieder an. »Wir hatten gar kein Verhältnis. Wir hatten seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr. Wir waren schon als Kinder sehr unterschiedlich, und wir wurden auch unterschiedlich behandelt.«
    »Was meinen Sie damit?«
    Eva zuckte mit den Schultern. »Sie war die Prinzessin. Sie wurde nicht bestraft, egal, was sie angestellt hatte. Und sie hatte es schnell heraus, alles so zu drehen, dass es aussah, als sei sie ein Engel. Sie war ein Aas. Je älter wir wurden, desto schlimmer war es, vor allem, als ich … als das bei mir begann.«
    Leienberg legte den Kopf ein wenig schief. »Als was begann, Eva?«
    Wieder senkte sie den Blick und betrachtete ihre Hände, die sie im Schoß gefaltet hatte, wie sie sich regelrecht ineinander verkrampften. Wie viel konnte sie diesem wildfremden Mann erzählen? Wie viel
wollte
sie ihm erzählen?
    »Eva«, sagte Leienberg sanft nach einer Weile. »Im Leben eines jeden Einzelnen gibt es Dinge, die wir lieber für uns behalten möchten. Ausnahmslos. Weil wir uns ihrer schämen vielleicht, oder aus irgendwelchen anderen Gründen. Das ist vollkommen normal. Menschlich. Aber wenn die Erinnerung an diese Dinge oder das Wissen darum beginnen, uns Schwierigkeiten zu machen, können wir sie nicht länger totschweigen, sondern müssen sie beim Namen nennen, um ihnen ihren Schrecken und damit ihre Macht über uns zu nehmen, verstehen Sie?«
    Eva schwieg weiter, den Blick auf ihre Hände gerichtet. Schließlich nickte sie und sagte: »Ja, ich verstehe das. Es fällt mir nur sehr schwer, weil … weil Sie vielleicht denken, ich wäre verrückt, wenn ich Ihnen davon erzähle, und …«
    »Jemand, der fürchtet, für verrückt gehalten zu werden, ist es in den allerseltensten Fällen. Verrückte machen sich diese Gedanken nicht, denn sie halten sich in der Regel für ganz normal, meist sogar für schlauer als alle anderen.«
    »Ich habe Erinnerungslücken. Immer wieder.« Sie sprach es ohne weitere Verzögerung aus und beobachtete Leienberg dabei genau, konnte aber lediglich so etwas wie Unverständnis in seinen Zügen entdecken.
    »Erinnerungslücken? Heißt das, Sie wissen nicht mehr, was es war, das damals bei Ihnen begann?«
    »Nein, ich meine, das ist es, was damals begann. Ich weiß manchmal nicht, was ich gerade getan habe. Oder wie ich irgendwohin gekommen bin. Oder ich möchte etwas tun, und dann ist eine gewisse Zeit vergangen, und ich überlege, warum ich nicht getan habe, was ich vorhatte. Verstehen Sie? Das war schon als Kind so. Ich habe das damals Inge erzählt, und sie hat das ausgenutzt, um mir alles unterzuschieben, was sie angestellt hat. Ich konnte meist nicht sicher sein, ob ich es nicht doch getan hatte, wessen sie mich beschuldigte. Ich konnte mich einfach nicht mehr daran erinnern. Sie hat mich für verrückt erklärt, und behauptet, dass mir ja alles zuzutrauen sei.«
    »Und wie haben Ihre Eltern darauf reagiert?« Eva zögerte kurz, doch dann sprach sie weiter. »Mein Vater hat es ignoriert, so wie er meist die Dinge ignorierte, die er nicht sehen oder nicht wahrhaben wollte.«
    »Und ihre Mutter?«
    »Stiefmutter. Sie … ich weiß es nicht. Meine Erinnerung an sie ist auch sehr lückenhaft. Aber ich glaube, sie hat Inge alles geglaubt, was sie ihr erzählt hat. Sie war ihre leibliche Tochter.«
    »Wenn ich das recht verstanden habe, lebt Ihre Stiefmutter auch nicht mehr. Wann ist sie gestorben und wie?«
    »Ich war dreizehn, als sie starb.«
    »Woran ist sie gestorben? Und wie alt war sie da?«
    »Krebs. Sie hatte Brustkrebs. Als er entdeckt wurde, war es bereits zu spät, da war sie achtunddreißig.«
    »Und Ihre Stiefschwester war damals wie alt?«
    »Elf.«
    Dr. Leienberg warf einen Blick auf den Block, der vor ihm lag, und auf dem er die ganze Zeit über Notizen gemacht hatte. »Hatten Sie damals ein starkes Verlustgefühl?«
    Eva dachte einen langen Moment nach. »Ach, ich weiß es nicht.« Leienberg beugte sich ein Stück nach vorne. »Sie wissen es nicht?«
    »Sie war eben nicht meine leibliche Mutter. Obwohl ich meine leibliche Mutter nie gekannt habe, habe ich sie immer vermisst. Mein ganzes Leben

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