Der Saubere Tod
Licht der aufgehenden Sonne die Skalitzer Straße herabschwamm und das Eisen des Hochbahnskeletts rostgold beleuchtete, wenn die Türken in den dottergelben ratternden Waggons zur Arbeit fuhren, das Kottbusser Tor sich mit Pennern und Polizeiwagen füllte und an den Abbruchhäusern die Nachtschatten wie Schmutzwasser herabliefen; es war Mittag auf der lauten stinkenden verstopften Müllerstraße durch den Wedding nach Norden hinter dem glänzenden Eisberg des Scheringgebäudes hinauf zu den französischen Kasernen und dem Flughafensee und wenn man aus Kreuzberg zum Potsdamer Platz kam, wo die Aussicht weit wurde zur zerklüfteten Skyline der Werbeagenturen in der Keithstraße bis zum Nollendorfplatz. Liebespaare und gebeugte Greise füllten Lincke- und Fraenkelufer, und im nachmittäglichen Schatten der Wiener Straße neben dem Görlitzer Bahnhof brach sich der Lärm einzylindrigerMotorräder zwischen dem Damm und den Mauern.
Aber Sonnenschein auf staubigem Glas, Menschen- und Automosaike, die Spiegelungen der Passanten zwischen den Schaufensterpuppen und das Summen arbeitender Entlüftungsanlagen waren nur Täuschungen, hinter all denen die leere Köpenicker Straße lag, hallende Schritte, und dann bog man in die Pfuelstraße ein und blickte durch den Tunnel der grauen Häuserflanken im Geräusch eines Schweißbrenners aus einer Werkstatt auf die bleifarbene Spree, an deren jenseitigem Ufer wie gebleichte Knochen im Sonnenlicht die Mauer lag, und die Aussicht verwässerte und wurde farblos, und der Himmel ging in ein krankes Gelb über, die Hautfarbe eines Menschen, der sein Leben in verdunkelten Räumen verbracht hatte.
Erst wenn es dämmerte, verlor die Stadt den Anschein einer normalen Metropole aus den Hochglanzprospekten, in der tatsächlich Menschen arbeiteten, aßen und tranken, heirateten und starben, in der Kinder spielten und zur Schule gingen, Flugzeuge landeten und Busse nach bestimmten Fahrplänen plötzlich um Ecken bogen. Erst nach Einbruch der Dunkelheit wurde Kreuzberg zu einer Schädelstätte, zu einem Soldatenfriedhof mit weißen Kreuzen auf dunklem moosigem Stahl, einem steinernen Mahnmal vergangener Zeiten, die so lange zurücklagen, daß sie nur noch in mythischen Beschwörungen zwischen den Backsteinmauern hervorkrochen, und doch waren sie noch keine drei Jahre vergangen, zu einem dunklen geheimnisvollen Thing, wo Menschen aufeinander zu- und aneinander vorbeigingen, in scheinbar geregelten und choreografierten Schrittsequenzen, Menschen, die alle aus verschiedenen Gründen die Banalität des Tages nicht ertragen wollten und die Sonnenstunden verdösten und deren Geräusche wahrnahmen, wie andere Leute Geräusche und Formen in fremden beängstigendenTräumen, aus denen man in die klare Sicherheit eines gedeckten Frühstückstisches, einer Morgenzeitung, eines Radiosprechers, einer Stechuhr oder einer Topfpalme, hydrokultiviert in einer weißen Büroetage, fliehen konnte.
Aber es gab auch die endlosen geraden Straßen mit fünfstöckigen Mauern zu beiden Seiten, die direkt in die Unendlichkeit flossen, wo die Mauern sich trafen, und dort, weit, weit weg ragten wieder Fassaden und Schornsteine hoch: die Aussicht auf eine Hafenstadt auf einem gelben Plateau im Morgendunst von der Reling eines Schiffes.
Kannst du dir vorstellen, daß man wegen eines Liedes in eine Stadt ziehen muß? fragte Peter Johann an einem der warmen endlosen Abende, die sich noch die trüben zwielichtigen Morgenstunden des nächsten Tages borgten, um ihrem Ende selbst beiwohnen zu können. Wenn man in einer erkalteten Herbstnacht die Gneisenaustraße entlangkam und den Mehringdamm kreuzte mit dem friedhofartigen Café, mit dem Kellner im zerschlissenen Frack, der Heimatlieder singt, mit den Ratten auf den grauen Steinquadern, während sie sich am Kohlenmonoxyd wärmen, wenn der Verkehr hinauf zum Platz der Luftbrücke rauscht und du weißt, die Stadt geht fort über Kilometer und Kilometer von Zuhause und Wildnis, von engen Straßen mit warmem Licht und der stählernen Leitplankenferne einer Highwaynacht bis nach Dreilinden hinunter, bis in die grünen Rundwege von Wannsee und die Betongalgen Spandaus.
Es war der Sommer von Peter und Johann, Johann und Peter, Peterjohann, der die Sommernächte durchflog auf der Suche nach Momenten von Gegenwart. Die waren da: im Rauch, der von den Tischen der Bars zu den Lampen aufstieg, dort verschwanden sie in der Kathedrale einer schwarzgrün schimmernden nächtlichen Allee; sie
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