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Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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hinab.
    Arbeit, sagte Barbara.
    Peter stand auf und sagte zu Johann: Komm, wir springen.
    Wo?
    Hier vom Baum. Die Äste hängen über. Oder hast du Angst?
    Johann sah zu Barbara. Die hatte sich umgedreht und starrte auf den See.
    Die ersten Sprünge waren einfach. Sie kletterten auf den starken Ästen nach draußen und sprangen, und das Wasser schäumte weißgrün aus der Schwärze hoch. Dann stiegen sie höher. Barbara beobachtete sie. Sie sah die beiden in acht Meter Höhe balancieren. Johann rutschte mit einem Fuß ab.
    Hört auf. Kommt runter! schrie Barbara, aber sie sprangen.
    Dann kamen sie ihr prustend aus dem Wasser entgegen. Peters Augen glühten. Jetzt ganz nach oben. Er deutete hinauf. In zwölf Meter Höhe stand noch ein Ast vom Baum ab, ein schwarzer gichtiger Finger gegen den mondbeschienenen Himmel.
    Das ist Wahnsinn, protestierte Barbara. Johann blickte unschlüssig nach oben. Sein dünner Körper war von Gänsehaut überzogen und zitterte von der Kälte des tiefen Wassers. Die weiße Haut hatte im Mondlicht einen grünen Schimmer. Barbara sah die Rippen, die vorstehenden Beckenknochen und die langen Beine.
    Hört auf damit, sagte sie. Von da oben müßt ihr nicht nur runterspringen, sondern auch weit nach vorne, sonst kommt ihr nicht über die Äste weg. Und wo wollt ihr euch da oben festhalten, um abzuspringen. Das ist Selbstmord.
    Peter drehte sich um zu ihr und schob die blonde Haarsträhne über den Kopf nach hinten, die ihm über die Augen gefallen war.
    Aber Baahbara, sagte er, weißt du es denn immer noch nicht? Wir glauben nicht an Selbsterhaltung.
    Sie kletterten hoch, Peter voraus, Johann hinterher. Er hielt sich an den gleichen Stellen fest wie Peter und starrtegegen den Stamm und auf Peters Füße über seinem Gesicht. Sie kletterten höher als zuvor. Dann waren sie an der letzten Gabel angekommen. Der Ast ragte weit hinaus, massiv, knorrig. Peter hockte sich rittlings darauf und rutschte vorwärts. Seine Beine baumelten ins dunkle Nichts hinab. Eine Wolke, die vor den Mond getreten war, zog weiter, und das Licht schien voll, weiß und kühl auf Peter, der sich zu Johann herumdrehte und ihm zunickte. Johann sah ihn an und dachte, daß er Peter sein wollte. Dann richtete Peter sich langsam auf, stützte sich mit einer Hand, stieß sich ab, sprang in die Tiefe und war verschwunden.
    Johann rutschte vorsichtig an das äußerste Ende des Astes, sein Hintern war schweißnaß. Unter ihm war das Dunkel des Laubes, darunter das Schwarz des Wassers. Er erhob sich mit zitternden Knien, verlor das Gleichgewicht, stieß sich noch mit einem Fuß ab und fiel.
    Barbara stand bis zur Brust im Wasser, und dann kam das zweite sausende Etwas vom Himmel geflogen und schlug mit peitschendem Knall auf die Oberfläche des Sees. Das Wasser spritzte auf, und Tropfen regneten auf Barbaras Stirn und liefen ihr die Wangen hinab. Als Johann prustend auftauchte, schüttelte sie den Kopf und wandte sich ab.
    Das war das Ende des Sommers. Am nächsten Tag kam der Regen, und mit dem Regen kam der Herbst.

IV
    Johann beobachtete den blassen kleinen Asiaten, der an dem anderen Pfeiler lehnte. Er trug eine dunkelblaue Windjacke und hellblaue Jeans mit Schlag und Schuhe mit Plateauabsätzen. Die Hände, über dem Bauch verschränkt, waren quittengelb, und sein Gesicht, aus dem die Augen im flimmernden fiebrigen Licht der niedrigen Halle leblos starrten, war bräunlich gelb, wächsern, blutleer.
    Draußen regnete es seit Tagen, die Steinplatten in der Halle waren schmierig schwarz, und die Kleidung der Leute war dunkel vor Nässe. Im grauen Licht erklommen Menschen die Treppe zu den Gleisen und mischten sich auf dem obersten Absatz mit dem Strom der Ankommenden; einen Moment lang bildete das eine feste Gruppe, dann waren sie wieder getrennt, die Abreisenden verschwunden, die Ankömmlinge spähten in die Halle herab, wo sie vielleicht erwartet wurden, junge Damen mit Reisetaschen von alten Ehepaaren in Kamelhaar, ein schwarzlockiger ernster junger Mann von einem Spalier Verwandter, angeführt von einem grauen würdigen Vater mit gestricktem Käppchen, Jungen in Schwarz aus der Provinz von ebenso schwarzen Mädchen, und eines von ihnen, das Johann beobachtete, erinnerte ihn an die Kriegsgöttin aus dem Theaterstück. Johann dachte an Anatol, der bei jeder Gelegenheit nur noch von der Kriegsgöttin erzählte oder von irgendwelchen Göttinnen und plötzlich einen Zettel aus der Tasche riß und etwas daraufkritzelte und dann

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