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Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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als würde Bewegung allein schon irgend etwas helfen, als hätten Fortgehen und Ankommen irgendeinen Zweck. Vielleicht hat es einen Zweck, dachte Johann, vielleicht hilft es, so eilig irgendein Ziel anzusteuern; in irgendeiner Ordnung mitmarschierende Beine, schwenkende Arme, gereckte und gebeugte Köpfe. Was war das Ziel? Was hatten sie alle gemeinsam? Er wußte es, gleich würde es ihm einfallen. Was trieb sie alle umher? Genau, jetzt hatte er es. Was war es? Sie wollten alle demRegen entkommen, das war es. Sie wollten alle ins Trockene, unter ein Dach, das war es. Sie wollten alle dem Regen entfliehen. Niemand wollte naß werden. Alle verbargen sich vor dem Regen. Johann wurde nicht mehr angesprochen. In seiner Hosentasche steckte der Fünfzigmarkschein. Er berührte ihn. Das Papier war schmierig in der Tasche, als sei es durch die Hände Tausender gegangen. Der Geldschein in der Tasche fühlte sich an wie eine faule madige Pflaume. Johann hielt die Hände von seinem Körper weg.
    Niemand sprach ihn mehr an. Er wartete, bis er zu müde zum Stehen war, und fuhr dann zurück. Die metallenen Haltestangen im Waggon waren schmierig. Die Bahn rumpelte über die kalten Lichter der Friedrichsstadt. Es war nach Mitternacht.
     
    Peter war nicht zu Hause. Auch Barbaras Zimmer war leer. Von seinem Zimmer sah Johann, daß nur hinter einem Fenster noch Licht brannte: bei Maria. Johann ging durch den Flur, durch den dunklen Bunker und sah einen Streifen Helligkeit unter der Tür.
    Das Zimmer war weiß im Licht einer Neonröhre, die von einer grünen Wäscheleine hing. Maria saß am Tisch, über einen Weltatlas gebeugt, vor ihr an der Wand hing eine große Afrikakarte. Johann blinzelte, als er eintrat.
    Es ist zu hell hier, sagte Maria. Es ist überall zu hell.
    Störe ich dich? fragte Johann.
    Maria schüttelte den Kopf und legte den Atlas auf den Tisch. Willst du Musik hören?
    Johann nickte.
    Willst du was trinken? Da steht Bier. Bedien dich.
    Johann holte sich eine Dose und setzte sich auf einen Stuhl.
    Bist du müde? fragte er.
    Maria schüttelte den Kopf. Ich komme gerade erst ausdem verdammten Kino. Sie legte eine Laurie-Anderson-Cassette in den Recorder.
    Laß dich nicht stören von mir, sagte Johann.
    In Ordnung, sagte Maria und nahm den Atlas wieder auf den Schoß.
    Johann betrachtete das Zimmer. Es gab eine Matratze, Bügel an der Wand trugen Kleider. In einem alten bauchigen Kühlschrank war die Wäsche. An einer Leine hing ein Bettlaken, auf dem ein Hakenkreuz aus Kresse wuchs. Darunter lag ein marzipangelber Schafsschädel auf dem Zementboden.
    Was ist das? fragte Johann.
    Maria winkte ab. Ein Arrangement. Ich werds bald wegschmeißen, wie alles. Mein Vater hat früher so was gemacht mit Kresse, zu Ostern. Natürlich keine Hakenkreuze.
    Was siehst du dir da eigentlich an? fragte Johann.
    Afrika. Ich überlege, wohin ich fahre.
    Willst du Ferien machen?
    Nein, ich will dableiben. Weg von hier.
    Und warum? fragte Johann.
    Ich weiß nicht.
    Was ist denn anders dort?
    Die Erde ist rot. Die Erde ist rot, und es gibt Farben, viel mehr Farben.
    Johann sah sie an.
    Was willst du, gefällts dir hier? fragte Maria.
    Ich bin noch nicht sehr lange hier.
    Ich war lange genug in Berlin. Ich war lange genug überall. Ich warte, bis ich fünftausend Mark habe, und dann fahre ich nach Afrika.
    Was ist das? fragte Johann und deutete auf den Tisch.
    Das Stück Eisen? Geld. Aus Kumasi in Ghana. Ja, vielleicht geh ich nach Ghana. In Accra sind die Hauptstraßen Abwasserkanäle, und die Kinder spielen Rutschbahn auf den Rinnen, die von den Hütten zum Kanal gehen. Außerdemhaben die einen Gott namens Ulurun, dem Hunde geopfert werden. Das war früher der Gott der Schmiede und heute auch der Gott der Kraftfahrer. Und jedesmal wenn ein Taxifahrer einen Hund sieht, vergißt er seine Fahrgäste und jagt ihn, bis er ihn überfahren hat.
    Johann lachte.
    Ich habs jedenfalls gehört, und die Idee gefällt mir.
    Wann wirst du genügend haben?
    Bald, sagte Maria und lächelte, und ein Delta Fältchen entstand in ihren Augenwinkeln. Weißt du, Berlin ändert sich andauernd. Und für jemanden, der hier lebt, ist eine Veränderung wie ein Ende, und er denkt, jetzt hört das also auf. Für die Stadt selbst, die geduldiger mit sich ist, und für Besucher sind es nur Veränderungen. Aber für den, der hier wohnt, ist es ein Ende. Die meisten Leute, die ich kenne, sind mit der ersten Veränderung, die sie erlebten, wieder fort aus Berlin. Ich habe

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