Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
Vom Netzwerk:
klimpernden Kalimba, und jedesmal wenn er ein Wort oder eine Passage unterstreichen wollte, prügelte er mit der Faust auf die Saiten, und die Gitarre antwortete mit zerquälten Schreien, die die Zuhörer aufschreckten, peinigten und schließlich vertrieben.
    Hinterher wurde nicht mehr darüber gesprochen, Jimmy war nicht unzufrieden; es war gekommen, wie er vorausgesehen hatte, niemand hatte etwas verstanden, vielleicht lag es an ihm, vielleicht am Publikum, es blieb sich gleich. Johann war betrunken, und Jimmy fand jemanden, der Kokain verkaufte, und er gab sein Honorar dafür aus und für einen Trip für Maria, die kein Kokain wollte. Johann wurde wieder wach und trank weiter, Maria verließ das Blockschock, weil sie auf Trip am liebsten allein durch die Stadt wanderte, und Jimmy brachte, nachdem er vergeblich versucht hatte, Johann anzusprechen, die Gitarre zurück, hängte seine Schultertasche um und verließ das Haus wieder, um sein Signum, sein Markenzeichen, seine Spur an den Mauern Berlins zu hinterlassen.
     
    Am folgenden Abend saßen sie im großen Raum, Johann, Breen, Maria, Barbara, Daniela mit Maria, Wolfgang und Sergej. Jennifer war unterwegs, das Baby schlief. Peter hatte angerufen und Johann gefragt, ob er zu ihm kommen wolle, aber Johann wollte nicht. Sie saßen alle um Jimmy Breen herum, der von New York erzählte, den harten Zeiten ohne Geld, den Clubs, in denen er gespielt hatte, und den Leuten, die es geschafft hatten. Sergej saß etwas abseits und lächelte vor sich hin, er war auf Trip. Kurz darauf verließ er die Wohnung und ging ins Kino. Wolfgang war mit einer Grafikerin im Café Einstein verabredet und verabschiedete sich, ohne das Mädchen wirklich sehen zu wollen. Den Rest hielt Breen bei der Stange. Als er bösartige Witze über verheiratetePaare erzählte, bildeten sich auf Marias und Barbaras Stirn Falten. Niemand wollte weit fahren, es regnete, so wurde beschlossen, in die Rote Rose zu gehen.
    Die Rote Rose an der Ecke Oranien-/Adalbertstraße war der Mülleimer des Stadtviertels. Es war, als müßten Hunde und Ratten die Kneipe stürmen, die Gäste anfressen und in ihren Augenhöhlen stöbern. Der Windfang war aus dunkelgebeiztem Holz, in das eine unkundige Hand schiefe Herzen laubgesägt hatte. Die Wände waren mit Alpenpanorama-Fototapeten verkleidet, über die Wochenend-Mädchen gepinnt waren. Auf einer Empore glitzerte das ganze Jahr über in seinem Schrein ein kleiner geschmückter Plastik-Christbaum, Leuchtgirlanden schlängelten sich unter der Decke; es gab ein Aquarium, grün von Algen, eine Musikbox und zwei Tische. Die Wirtin hinter dem Tresen war ständig angetrunken und ließ ihren Freund, einen muskulösen Marokkaner im Trainingsanzug, die Arbeit tun. Aus der Musicbox dröhnten verzerrt türkische Schlager oder das dissonante Falsett der Star-Sisters. Anatol saß oft nächtelang hier, denn die Getränke waren konkurrenzlos billig, und im Geruch von Pisse und Erbrochenem und aufgestoßenem Bier, der den kleinen Raum füllte, lösten sich seine Gedanken auf.
    Nur ein Tisch war besetzt. Dort hockte eine alte verkrümmte Frau, die ihr Gebiß verloren hatte. Ihr Kopf rutschte immer wieder von dem aufgestützten Arm und fiel hart auf die Tischplatte ins verschüttete Bier. Sie hatte eine Plastiktüte neben sich stehen, in die sie von Zeit zu Zeit griff und eine Handvoll Kartoffelsalat herausholte. Manchmal erbrach sie sich auch in die Tüte oder daneben, danach aß sie weiter. Der Marokkaner erhob sich alle zwanzig Minuten seufzend von seinem Barhocker und wischte mit einem Schwamm über die Tischplatte und die Bank links und rechts von der Frau. Als er ihr die Plastiktüte wegnehmenwollte, schrie die Alte ihn an und klammerte sich mit beiden Händen an die Tüte. Danach ließ der Marokkaner sie in Ruhe. Gegenüber auf der anderen Seite des Tisches saßen ein alter Mann in löchrigem Wollmantel und Schal und ein Punk mit blutunterlaufenen Augen, beide hielten sich an den Biergläsern fest.
    Der Alte schlug mit der Faust auf den Tisch: Ich war Schäfer! Ich hab alles erlebt! Sie ham mir meine Schafe weggenommen! Ich hab ein schönes Leben gehabt. In der Heide, jawohl. Mein ganzes Leben war ich Schäfer, bis sie mir meine Schafe weggenommen haben. Und jetzt will ich nicht mehr, jawoll.
    Ich will auch Schäfer sein, jammerte der Punk und legte seinen Kopf auf den Tisch. Ich hab die Schnauze voll. Kann ich nicht auch Schäfer werden?
    Das ist vorbei, vorbei, vorbei. Ich war

Weitere Kostenlose Bücher