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Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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Abend bei Jessica bleiben, wenn Jimmy im Blockschock einen Auftritt abmachte. Dafür wollte sie am folgenden Tag mit Maria Once upon a time in the West sehen.
    Am Nachmittag, als Barbara nach der Arbeit mit den Breens in ihrem Zimmer war, saß Johann auf seinem Bett. Da war New York, das er besser kannte, als er Berlin jemals kennen würde, das echter war, als Berlin jemals sein würde, das New York der Lichterspuren und des melancholischen Judenhumors, der Kugeln in den Rücken und des Autostroms, die Bilder und Töne, Rhythmus aus Hunderten vonLiedern und Filmen aus allen Jahren, die von der Zukunft erzählten, in den schnellen Weiten Amerikas, wo alles möglich war, wo alles geschah, jetzt, jetzt, und irgendwann, das wußte er im schnaubenden Atem all der Musik, ging es dorthin, war es schon immer dorthin gegangen, und die Stadt und das Land, das er nie gesehen hatte, machten seine ganze Vergangenheit aus, die aufblitzenden Lichter und der Fahrtwind und die leeren nächtlichen Plätze hatten das Universum gefüllt, das außerhalb des Vakuums jener unzähligen verblaßten deutschen Sonntagnachmittage lag.
    Da war aber auch, neben und in und gegen New York, die kleine Jessica in der Wollstrumpfhose mit dem blonden Flaum auf dem runden Kopf und den großen blauen Augen wie Murmeln, den klugen Augen, deren Blick den Bauch aushöhlte und Leere hinterließ, die gefüllt werden wollte, kalte Leere, womit wollte sie gefüllt werden, womit? Und Johann zwang sich, nicht darüber nachzudenken, und dachte an Jimmy und Jen, wie sie sich um die Kleine kümmerten, wie sie bei ihr waren, wie ihre Hände sie berührten, die großen Hände diesen winzigen Körper berührten, und wie sie dennoch keine Zeit verloren, sie verloren keine Minute dabei, es war seltsam, nichts ging verloren.
    Der Junge, der im Blockschock hinter dem Tresen stand, war so mürrisch und zurückhaltend wie seine Gäste, tauber Glöckner und Küster einer heruntergekommenen Kathedrale des Lärms, deren Besucher die ohrenbetäubenden Messen längst auswendig kannten, die jeden Abend gegeben wurden, und sich beim Beten nur noch gelangweilt am Schritt zupften. Maria liebte es, sich hier an manchen Abenden vom Dröhnen der Musik einmauern zu lassen und die Gladiatoren zu beobachten, die die Treppe hinabstiegen, dort wo die Bühne war, um sich die Köpfe blutig zu schlagen. Durch die gläserne Mauer von Geräusch und Pernod betrachtete sie die jungen blutenden Gesichter, rot auf schwarz, und dasBlut war sofort als Sirup zu erkennen, wie in allen schlechten Filmen.
    Jimmy Breen sprach das Zauberwort: New York und zwinkerte den anderen zu, als sich der Junge zusammenriß, stramm wurde, die Ohren öffnete und leuchtende Augen bekam. Jimmy spielte mit ihm, ließ Namen fallen, die sehr New Yorkerisch klangen, und überhäufte den Jungen mit Komplimenten, wie sehr seine Bar an die wundervollsten, heruntergekommenen, miesesten Schuppen in den schmutzigsten faszinierendsten Ecken der Lower East Side erinnerte. Es war kein Problem, einen Termin für den übernächsten Abend abzumachen. Jimmy inspizierte die Bühne, zog die Augenbrauen hoch, und der Junge schwänzelte um ihn herum und versuchte ihn zu berühren, an den Schultern, am Rücken, als könne er sich und das ganze Blockschock auf diese Weise mit einem Schlag über den Atlantik beamen.
    Auf der Straße im eisigen Herbstwind, der aus allen Richtungen auf den Heinrichplatz wehte, schüttelte Breen den Kopf. My God, what a fuckin’ rotten place. You won’t tell me this is Berlin avantgarde. But honest to God, I take what I can get, I performed in worse surroundings than that.
    Er zögerte. Thinking it over, it might even be the most distinguished club I ever did. Hope that thousands will come. What’re we going to do tomorrow, though, I’d like to see something nice. Nothing against the Blockschock, but I mean, it’s fucking garbage. Isn’t there any nice place we could go to with Jen and the kid?
    Es war Wolfgang, der die Pfaueninsel vorschlug. Jimmy und Wolfgang verstanden sich sofort. Wolfgang sprach fließend Englisch, er war jemand, der es geschafft hatte. Er war Akademiker und verdiente viel Geld, er war zufrieden und ehrgeizig, er lachte gern und war ungern depressiv, vor allem wenn kein Grund dafür bestand, und er war ungern mit depressiven Menschen zusammen. Er liebte Mahler, Brucknerund Wagner, aber auch Phil Glass und Steve Reich, und er fickte gern, und am liebsten zu Mahlers Fünfter, oder

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