Der Saubere Tod
die direkt aus dem Magen hochstieg, jetzt schon im Hals war, eine Übelkeit, deren Ursache er nicht kannte, er hatte weder zuviel getrunken noch zuviel geraucht gestern, noch etwas Schlechtes gegessen, aber als er sich jetzt an das Essen vom Vortag erinnerte, trieb allein das Bild von etwas Eßbarem die Übelkeit hoch in den Rachen, und er hielt die Hand vor den Mund und schluckte. Er stand auf, und seine Ellbogen, Knie und Handgelenke schmerzten, er stand schwach auf seinen Füßen, er zitterte, und seine Beine waren aus Holz.
Er kniete vor dem Klo und übergab sich dreimal, jedesmal erschöpfter, zog Wasser und riß Papier von der Rolle, umsich Mund und Kinn abzuwischen. Er wollte einen Rest Würde bewahren gegen diesen Überfall, obwohl die Krämpfe in seinem Bauch rissen und er seinen Körper kaum unter Kontrolle halten konnte. Als sein Bauch sich beruhigt hatte, hockte Johann apathisch im Klo auf dem Boden, an die Wand gelehnt, und die Angst begann. Was hatte er? Noch mal ins Bett und noch mal aufstehen, und es wäre wieder gut. Vielleicht ging das. Aber er wußte, er war krank, und die Angst stach in seinem Bauch, und plötzlich kam das Gefühl wieder, und er konnte sich gerade noch zum Klo wälzen, und es schüttelte ihn, und diesmal hatte er keine Kraft mehr, zu spülen oder nach dem Papier zu greifen, und als es vorbei war, schloß er die Augen und ließ seine Wange auf dem kühlen Rand des Klos liegen, erschöpft, ängstlich, dann traurig.
Er ging zurück in sein Zimmer, machte Licht und legte sich wieder ins Bett. Das Licht von der Glühbirne schmerzte seinen Augen, und das Bettzeug war heiß, feucht und muffig. Draußen war es dämmrig, und es wurde nicht heller, obwohl es schon nach neun Uhr war. Es war Sonntag, und die Wohnung schlief noch. Johann hatte weder Kraft noch Lust, zu jemandem zu gehen, obwohl er gerne Gesellschaft gehabt hätte. Niemanden, der redete, nur jemanden, der da war. Falls es überhaupt noch jemanden gab. Jemanden, der ihm sagte, was er hatte, und es wegmachte. So jemanden gab es aber nicht. Jemanden, der käme, ohne daß er ihn rufen mußte. Das war doch aber das Gute an der Wohnung, daß dies nie geschah sonst.
An der Wandseite der Matratze wollten dicke graue Staubflocken, und der Finger, der über die Fußleiste fuhr, wurde schwarz. Schmutz! Sein Zimmer war schmutzig, er war schmutzig mit der angetrockneten Kotze am Kinn und in den Mundwinkeln, in seinem verschwitzten, stinkenden Bett, draußen war es schmutzig. Draußen regnete es, und es wurde nicht hell, nie mehr würde es hell werden.
Jemand, der sich um ihn kümmerte, aber er wollte nicht zu Barbara hingehen, er wollte nicht, daß sie die Decke hob und er ihren weißen bettwarmen Körper sah, er wollte nicht ihre hochgezogenen Augenbrauen und den harten Mund, er konnte nicht. Er blieb im Bett und wartete und hörte, wie die anderen aufstanden, hörte, wie Türen klappten, Schritte auf dem Gang, barfuß und in Schuhen. Irgendwo wurde Musik eingeschaltet, wahrscheinlich in der Küche, im großen Raum, und einmal war er überzeugt, daß Barbara sich näherte, aber dann gingen die Schritte an seiner Tür vorbei, und niemand trat ein.
Johann mußte pinkeln, aber er wollte nicht aus seinem Zimmer, er wollte niemanden sehen. Er stand mühevoll auf und öffnete das Fenster. Sein Urin, der mit dem Regen nach unten fiel, war dunkel und stank. Johann erschrak, und in seinem Bauch begann die Angst wieder zu arbeiten, ihre Messerstiche auszuteilen, er war wirklich krank; es würde nicht aufhören, wenn er in seinem Bett lag und wartete, daß es aufhörte, und dann wurde ihm wieder übel, und er legte den Kopf auf die Fensterbank, aber es kam nichts mehr hoch außer den Schmerzen, drückend und stechend zugleich, und er hing auf der Fensterbank im leichten Rauschen des Regens, im Novemberdämmerlicht, er fühlte sich zu schwach, ins Bett zurückzukehren, er wollte schlafen, nur schlafen, aber er konnte nicht einschlafen, obwohl er müde war, nein, nicht müde, nur schwach. Die Wohnung wurde still, und niemand war gekommen. Eine Welle von Selbstmitleid trieb ihm einige dünne Tränen aus den Augen, aber daß er wußte, daß es Selbstmitleid war, machte nichts besser.
Am Nachmittag, als es Johann egal war, klopfte es doch noch. Er sagte tonlos Ja, und die Tür öffnete sich, und Barbara kam herein.
Was ist denn mit dir los? fragte sie, ging zum Fenster und öffnete es. Kater?
Johann sagte nichts. Barbara kam näher.
Bist du
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