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Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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Frustrationen, die Ängste. Die Männer pißten sich aus und pumpten die Frauen mit ihrer Jauche voll, die sie Leben nannten. So war das also. Entweder man spritzte das Leben weg, oder man ließ es sich reinficken. Und man wurde krank davon. Man mußte kotzen davon. Man bekam Dünnschiß davon. Die Knochen taten einem weh. Man wurde schwach. Und die anderen verzogen sich. Sie hatten einen bewundert, weil man lebte, sie hatten einen gewollt, und jetzt ekelten sie sich. Er ekelte sich auch. Er war dreckig, dreckig, dreckig. Das war es also, was auf der Außenseite lag, dort, wo die Lügen und die Kuhwärme und die fette Behaglichkeit und die Langeweile und die Auszehrung der Träume nicht waren:Dreck. So einfach war das also. Dreck war es, der Dreck, den sie nach draußen geschaufelt hatten vor die Türen. Also das war das Leben. In Dreck wühlen, sich den Dreck der anderen reinficken lassen, selber dreckig werden. Desto besser. Nein, nicht besser. Überhaupt nicht besser, denn es war nicht auszuhalten in all dem Dreck, der in ihm steckte und in diesem Zimmer, und keiner kam und half ihm, und er war zu schwach. Er verlangte keine Zuneigung, die doch nicht ehrlich hätte sein können, er brauchte praktische Hilfe. Er war krank.
    Anatol hockte in seinem Zimmer, das nur von der Schreibtischlampe erhellt wurde, als Johann eintrat, und sah ihn aus müden Augen an.
    Du hattest recht, sagte er.
    Womit? fragte Johann.
    Eine Mauer ist eine Mauer, aber wir sind nichts. Dieses Kriegsgöttinnen-Stück hat mir die Augen geöffnet. Es stimmt, es ist Krieg. Permanenter Krieg. Permanenter Haß. Es ist ein Witz, daß man den Zweiten Weltkrieg da raushebt. Es war immer Krieg, kontinuierlich. Wir sind nichts als kleine Stücke Scheiße, aber das zu akzeptieren! Wir sind nichts, wie in diesem Stück. Wir werden aufgeweckt, wir finden uns, hassen uns, ficken uns, lieben uns, bringen uns um. Wir werden gesteuert. Wir selbst geben gar keinen Sinn. Aber das zu akzeptieren! Ich hab alles gelesen, was es über Kriegsgöttinnen gibt, über die Weiße Göttin. Alles. Das ist Musik. Ich muß es hinkriegen, das zu Musik zu machen. Verstehst du?
    Ja, sagte Johann, zu schwach, um zu widersprechen.
    Du bist krank, hab ich gehört, sagte Anatol. Was fehlt dir?
    Gelbsucht.
    Oh! sagte Anatol und sah auf. Das ist ansteckend, was?
    Johann sagte nichts.
    Ich glaube, das ist reichlich ansteckend. Anatol legte den Bleistift aus der Hand.
    Ich wollte dich eigentlich fragen, ob du Ersatzbettwäsche hast. Meine ist dreckig, und ich hab das Bedürfnis nach was Sauberem.
    Anatol verzog das Gesicht. Ich hab nur eine Ersatzgarnitur, und die brauche ich bald selbst. Er lachte. Ich schlafe immer mit Zigarette ein und mache Löcher. Frag doch Wolfgang, der hat einen ganzen Schrank voll.
    Ist gut, sagte Johann.
    Sag mal, jetzt ernsthaft, so leicht kann man sich bei so was doch nicht anstecken, oder?
    Du bestimmt nicht, sagte Johann.
    Hoffentlich, das wäre nämlich das letzte, was ich jetzt gebrauchen könnte, krank zu werden.
    Also gute Nacht, sagte Johann.
    Gute Nacht, und gib acht, ich meine, wir hocken hier dicht auf dicht, und mit so was ist nicht zu spaßen. Willst du übrigens was hören?
    Ein andermal, sagte Johann. Mir ist übel.
    Also dann, gute Nacht, sagte Anatol.
    Barbara war noch immer nicht zu Hause. Johann fühlte sich schwach und hohl. Er füllte ein Röhrchen mit seinem dunklen Urin und ein anderes mit seiner halbflüssigen Scheiße. Als er sich dabei die Hand und das Röhrchen verschmutzte, mußte er sich wieder übergeben. Die Wohnung war so still und leer wie nie zuvor. Johann sah niemanden. Er mußte sich in seinem durchgeschwitzten Bettzeug zum Schlafen legen.
     
    Johann bekam den Arzt überhaupt nicht zu Gesicht. Er gab seine Röhrchen bei der Schwester ab. Er fragte sie, was sich ergeben habe, aber sie wußte nichts. Sie gab ihm nur einen Termin für den folgenden Montag. Johann wollte wissen, was er tun solle. Die Schwester zuckte die Schultern, er könne gar nichts tun. Johann fragte, was er gegen die Schmerzenund die Übelkeit unternehmen könne. Die Schwester hatte keine Antwort. Er solle sich nur möglichst ruhig halten und im Bett bleiben. Dann fragte sie nach seinem Krankenschein, und Johann, der sich zu schwach fühlte, um zu rebellieren, versprach, ihn so bald wie möglich nachzureichen.
    In der Wohnung begegnete er niemandem. Er legte sich wieder ins Bett. Er lag auf dem Rücken und starrte gegen die hohe weiße Decke, die völlig

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