Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
Vom Netzwerk:
Schmerz, das ist der menschliche Aggregatzustand, natürlich will niemand mit einem Kranken zu tun haben, du bist draußen, du wußtest, daß du früher oder später rausfliegen würdest.
    Johann setzte sich zurück. Wer hatte ihm denn den Strich schmackhaft gemacht, wer hatte ihn vorwärtsgetrieben über den Rand des Abgrunds hinaus. Aber Peter, die fremde zusammengerollte Kugel, blieb teilnahmslos. Er selbst habe alles gewollt, was er auch genau genug wisse, und alles Jammern sei zu nichts nütze, denn was rede er da überhaupt von Konsequenzen, er wisse selbst genau, es gab keine Konsequenzen, es ging nur immer weiter und weiter, das eine sei wie das andere, nicht mit ihm, nicht gegen ihn, sondern nur vorher, jetzt und später.
    Wenn du eine ansteckende Krankheit hast, mußt du akzeptieren, daß die Leute dich meiden. Ich werde mir auch die Hände waschen und die Zähne putzen, wenn du wieder weg bist.
    Johann betrachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen, eine zusammengerollte, räudige schwache elende ehrliche und bösartige Katze. Ich hasse diese Leute, brach es aus ihm heraus. Ich hasse diese Leute. Ich hasse sie alle.
    Du haßt sie, weil sie sich nicht um dich kümmern. Du kümmerst dich auch um niemanden. Aber das ist der große Irrtum, zu glauben, daß man sich umeinander kümmern müsse. Fehlentwicklung bei den Säugetieren, die völlig von ihrer Mutter abhängig sind, um nicht zu verrecken. Danach laufen sie alle mit dem Trauma rum, sie müßten sich umeinander kümmern. Ihr ganzes Leben lang. Wenn die Menschen dazu geschaffen wären, gemeinsam zu existieren, würden sie als siamesische Zwillinge geboren werden, oder was weiß ich. Sie kommen aber allein auf die Welt, sie treten allein ab, was soll also der Unsinn, daß sie zwischendrin nicht allein sein könnten. Je früher du das einsiehst, desto besser für dich. Es ist ganz gut, daß du krank und allein bist, das ist dein natürlicher Zustand, du wolltest doch ohne den Betrug und ohne die Betäubungsmittel auskommen. Allein, das muß reichen, das muß möglich sein, und es reicht auch. Schau her, ich zeig dir, daß es geht.
    Johann beobachtete, wie die kranke Katze sich streckte und dann, die Knie angezogen, sich auf die Seite fallen ließ, in Embryonalstellung, und den Kopf dem Unterleib zubewegte. Der Bauch schlug Fältchen, und die Sehnen und Adern des Halses traten hervor, bei der Anstrengung, mit dem Mund das eigene Geschlecht zu erreichen, das er in den Händen hielt. Es muß gehen, es geht, flüsterte Peter, das reicht, das muß reichen.
     
    Am Montag vormittag erschien Johann in der Praxis des Arztes.
    Was ich dir mit Bestimmtheit sagen kann, ist, daß du eine Hepatitis hast. Aber welche, das ist immer noch unklar. Beider Untersuchung deines Blutes konnte nämlich keine HB Ag festgestellt werden, das heißt, kein Nachweis, daß du eine infektiöse Hepatitis hast. Das kann eine ganze Menge Gründe haben, die nur durch weitere Untersuchungen rauszukriegen sind. Für dich im Moment macht es keinen Unterschied. Eine Möglichkeit wäre eine Non A Non B, aber die ist höchst selten. Tja, nichts Genaues weiß man halt nicht. Wie fühlst du dich heute?
    Ich will in ein Krankenhaus, sagte Johann. In der Wohnung kann ich nicht mehr bleiben. Wenn es mir dreckig geht und ich mich nicht um mich selbst kümmern kann, ist keiner da, der irgendwas tut.
    Du willst also freiwillig in ein Krankenhaus, obwohl es vom Krankheitsbild her nicht unbedingt nötig ist? fragte der Arzt.
    Ja, sagte Johann.
    Das scheint ja eine schöne Wohngemeinschaft zu sein, sagte der Arzt.
    Also, ist es möglich? fragte Johann.
    Gewiß, der Arzt nickte. Ich kann dich einweisen lassen.
    Johann beobachtete den Arzt beim Schreiben und fühlte sich in einem Kasten liegen und auf hydraulischen Rollen in eine Kühlwand zurückgeschoben.
    Der Arzt füllte die Papiere aus, und Johann floh freiwillig ins Krankenhaus, das ihn mit aluminiumfarbener, nach Desinfektion riechender Gleichgültigkeit empfing, als sei es lange klargewesen, daß er früher oder später kommen würde.

VI
    Es war seltsam und unwirklich, sich um zehn Uhr morgens auszuziehen und in ein kühles Bett zu legen, in einem dämmrigen Raum, der schwach nach Putzmitteln roch. Es herrschte völlige Stille in dem Zimmer, ab und zu waren Schritte auf dem Korridor zu hören. Alle Welt stand jetzt auf, die Stadt mußte schon lange ihren Takt gefunden haben, aber nichts von ihr war hier zu hören, denn jenseits des Fensters lag nur ein

Weitere Kostenlose Bücher