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Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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So!
    Sie stand auf und ging hinaus.
    Gekommen und gegangen! schrie Johann hinter ihr her. Genau! Kommen und Gehen! Kein Unterschied. Da bleibt nichts! Da bleibt gar nichts!
    Nach Barbara kam niemand mehr. Johanns Zimmer war so still, daß er das Blut in seinen Ohren rauschen hörte; es war eine höhnische Stille, in der sich auf Zehenspitzen alles zurückzog, was ihn umgab, in der alles sich auflöste und verschwand, eine Leere hinterließ, aus der auch die Atemluft entwich, bis ihm war, als müsse er ersticken, ein leerer nutzloser Körper im Vakuum, ohne Erinnerung, ohne gelebtes Leben, ein Klotz von Fleisch und Haut, lächerlich unbeweglich, ein Steinblock, ein Stahlgerippe, durch das der Wind pfiff, schutzlos gegen das Warten. Es gab ja Zukunft, es gab ja immer noch eine Zukunft, aber es war eine, die nicht zu ertragen war, weil keine Vergangenheit existierte.
    So mochte es weitergehen, denn er war nicht mehr imstande, irgend etwas zu ändern, und es gab niemanden, der kommen würde, etwas zu ändern. Wenn jemals jemand gekommen wäre, hätte Hoffnung bestanden auf Wiederholung, so blieb die Leere, in der nicht einmal mehr Luft zum Atmen war, und dennoch starb man nicht.
    Wie war es möglich, daß Gestalten mit solch seltsamen Gebilden wie Ohren, rosige Warzen, und Augen, gallertige Lichtpunkte, kleine Tiere, die in ihren Höhlen das Leben genossen, mit Mündern, schimmernde Schnecken, solchen Auswüchsen, solch lächerlichen Konstruktionen, solch grundlosen Ziselierungen, solch unberechenbare, unverständliche, sinnlose Organisierungen von Materie, wie war es möglich, daß sie einem solche Schmerzen zufügen konnten, wie war es möglich, daß sie einem das Leben und die Erinnerung aus den Knochen und dem Leib saugten undnichts als diese verzweifelte drückende Leere hinterließen? Was hatten sie mit einem zu tun? Was hatte man selbst mit ihnen zu tun? Warum ließen sie einen nicht in Ruhe, warum konnte man sie nicht übersehen? Warum kam immer die Leere, warum blieb sie? Warum der Schmerz wegen dieser Gestalten, die es doch vorher gar nicht gegeben hatte und die es hinterher nicht mehr geben würde? Aber das war falsch. Hinterher existierten sie weiter. Hinterher wußte man, daß es sie gab. Und daß es sie gab, immer noch, hinterher, wieder ohne einen selbst, das verursachte diesen Schmerz, der nie mehr verschwand.
     
    Auch dieser Tag ging zu Ende, obwohl es den Anschein hatte, daß er übergangslos in den folgenden mündete, denn nichts änderte sich, nur Barbaras Zimmer war plötzlich leer, und all die kleinen verstreuten Dinge, die anzeigten, daß sie, auch wenn sie nicht anwesend war, nicht weit sein konnte, waren verschwunden. Das Zimmer war aufgeräumt, und es sah aus, als sei es zur Hälfte ausgeräumt. Die Leute, die Johann in der Wohnung traf, gingen ihm aus dem Weg oder musterten ihn vorwurfsvoll, ohne ihn anzusprechen, selbst Maria machte einen Bogen um ihn, und ständig stand jemand vor der Spüle und wusch eifrig Besteck, Gläser oder Teller ab, bevor er sie benutzte, und neben dem Klo stand eine große blaue Literflasche voll Sagrotan.
    Johann ertrug die Stille um sich nicht mehr und ging hinüber zu Peter. Die Oranienstraße war leer und grau im Novemberregen des Sonntagnachmittags.
    Peter lag in seinem Bett und rauchte aus der Wasserpfeife und hatte eine Flasche neben sich stehen. Er war bleich, und sein Haar war ungekämmt und zerlegen und matt, und seine Augen waren rot. Johann wußte nicht, ob es seine Krankheit war oder Peter, aber obwohl sie dicht beieinander saßen, war es das kühle Gefühl von Fremdheit und Veränderung,als sei lange Zeit vergangen, seit sie einander das letzte Mal gesehen hatten, lange Zeit, die sie unwiderruflich getrennt hatte, die Zeichen auf ihre Gesichter gesetzt hatte, die nicht mehr zu entziffern waren. Peter war eine eingerollte Katze, ein gekugelter Igel, eine Schnecke in ihrem Haus, er hatte sich in seine Schmerzen zurückgezogen, in seine zynische Hoffnungslosigkeit, seinen klarsichtigen Nihilismus, der seine letzte Zuflucht war, und er wollte Johann nicht einlassen.
    Johann gestand der Kugel, auf die er einredete, er könne die Situation nicht mehr aushalten, die Isolierung, die Schwäche, den Zerfall seiner Person, die quälende Aufmerksamkeit, die sein Bauch forderte, die Schmerzen, die ihn durchfluteten, ohne daß er sich ihrer erwehren konnte, die ihn leergewaschen zurückließen.
    Du bist krank, ja, sagte Peter, aber das ist der Normalzustand,

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