Der Saubere Tod
Büschel wie verbrannt, ein feuchter rostfarbener Blätterteppich, verwaiste Kieswege, auf denen schwarze Pfützen standen, die Bäume schwarzbraune kahle Telegrafenmasten, die nackten Äste standen bizarr ab, als hätten sie etwas gesucht und auf halbem Wege aufgegeben, als hätten sie zum Himmel weisen wollen und hätten es nicht lange genug durchgehalten; hingen jetzt schwach und schwer nach unten und endeten in dürren Zweigen, die in verschiedenen Richtungen ausliefen, verwirrt, leer, sinnlos, aber unfähig, sich zu lösen. Johannlegte sich wieder ins Bett und überließ sich der Leere der Zeit.
Dann öffnete sich die Tür, und eine Schwester kam herein. Sie trug durchsichtige Plastikhandschuhe, die ihre Hände abgestorben aussehen ließen.
Guten Morgen, sagte sie. Wie gehts? Schon ein bißchen eingelebt? Ist langweilig hier, was?
Gibt es etwas Besonderes? fragte Johann.
Nein, nur Routine, sagte die Schwester. Sie legte ihre Utensilien auf den Nachttisch, nahm die volle Nierenschale, verließ mit ihr das Zimmer und kam kurze Zeit später wieder zurück. Sie gab Johann ein Thermometer, das er sich unter den Arm schieben mußte, fühlte seinen Puls, ihre Lippen bewegten sich beim stillen Mitzählen, sie band ihm die Manschette zum Blutdruckmessen um den Oberarm und pumpte den Ballon auf, dann nahm sie seine Hand, ergriff den Zeigefinger und stach mit einem kleinen Messer einen Blutstropfen frei.
Vorsicht giftig, sagte Johann.
Die Schwester lachte. Ich weiß, ich passe auf.
Johann sah sie an. Sie war noch jung.
Wie spät ist es? fragte er.
Halb elf, sagte die Schwester. In einer Dreiviertelstunde gibt es Mittagessen.
Kann ich eine Uhr aufs Zimmer bekommen? fragte Johann.
Die Schwester nickte und verschwand. Das Geräusch der Tür hallte noch ein wenig nach, dann war es wieder still.
Das Kissen war kühl wie eine Mauer, aber weich und bot keinen Widerstand, und Johann sank hinein. All die Gesichter. Was haben all die Gesichter zu bedeuten. Der Korridor von Gesichtern, dahinter die schwitzende weiße Wand des Krankenzimmers, heftig atmend, eine weiße Wand, die den Raum begrenzt, dem Druck von außen noch standhält,schwitzt, wie er in der Bettwäsche, in den weißen Leichenlaken, schmierig vom Balsam, mit dem er konserviert ist, nein, kein Balsam, sein eigener Schweiß, gelb und schmutzig und zerknittert in der Wohnung, bald würden sich faulige Fetzen lösen und an seinem Körper kleben bleiben, seinem gelben, braunen, bläulich anlaufenden Körper, seinem grünen faltigen Hals, die verwesenden Farben auf der weißen Wand wie die Bilder in der Wohnung, die stinkende Farbe einatmend, die sich vermischt und verschlingt und abstößt, und ein Tor öffnet sich, Stacheldrahtverhau, die Haken, die stählernen Kanten, die heiß in seine Gehirnwindungen gegossen, trocken hart und spitz werden und sich ausdehnen, den Kopf von innen sprengen, die Wände eindrücken, die die verschiedenen Kämmerlein voneinander trennen, so daß alles zusammenfließt, sich mischend, ein Schmerz zum Schreien, wie rostige Nägel, die aus seinen Augen gezogen werden, nein, das war sein Arsch gewesen, aus seinem Arsch riß man die rostigen Nägel, in die sich Gedärme verfangen hatten, und er drückte die Gedärme mit hinaus, und oben an den Därmen hingen Herz und Hirn, drücken, drücken, raus mit dem Gewabbel in einem Schwall bräunlichen Bluts. Wenn seine Eltern ihn so gesehen hätten, sein Vater mit seinem traurigen Altmännerarsch, den er schonte; er legte selbst zu Hause Papier auf die Toilettenbrille, und der Arsch schrumpelte dennoch zusammen wie ein alter Apfel, so wie der ganze Mann immer kleiner und schrumpliger wurde und das ganze Fleisch sich zusammenzog.
Wie die Älteren so an ihren Vätern leiden konnten. Johanns Vater verzwergte vor seinen Augen und gab das brache Universum frei, die zerbombte graue Mondlandschaft der nächtlichen Stadt, die frei durchmessen und neu und groß und sauber wieder aufgerichtet werden konnte. Was suchte er in dieser Stadt, die sich umstülpte und auf ihn legte mit all ihrem Gewicht, ein Alp auf der Brust; ein leererBoulevard mit Baum und Glockenturm in Backstein, das war es, was ein Mensch nicht ertragen konnte, nicht allein; er hatte wohl Leute gesehen, oder von ihnen gelesen, in einem Film vielleicht, aber es würde schwer sein, sich daran zu erinnern, Zelluloid verblaßte und wurde brüchig, nur noch die Archetypen behielten Konturen, und die waren langweilig, auch wenn sie Namen
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