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Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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leerer, rotbrauner, kahler Park.
    Johann stieg in das Bett, er war hellwach, obwohl das grünliche Licht ihm Müdigkeit suggerieren wollte. Aber es war nicht Nacht, und er war wach, und es hätte ihm keine Mühe bereitet, aufzustehen. Er setzte sich auf. Es gab nichts, worauf er warten konnte, keine Betäubung, keine Operation, keine Entlassung. Er war im Krankenhaus, und er mußte im Bett liegen. Es war völlig still. Er stellte sich vor, was draußen geschah, in der Stadt, in Kreuzberg. Wie in der Wohnung gefrühstückt wurde, wie Regenschirme am Kottbusser Tor über die Straßen huschten, wie in der Wohnung gesprochen wurde, wie die dottergelben Waggons, vom Schlesischen Tor kommend, über der Skalitzer Straße heranratterten. Die Kreissäge, deren Schrillen sich an den Mauern im Hinterhof brach. Daniela in ihrem weißen Bademantel, aus dem gelblich eine ihrer großen Brüste heraussah, mit einem Teetablett auf dem Weg zu ihrem Zimmer, wo Myra wartete und einen Joint baute, Daniela, die ihrer Stimme wegen ein Glas Milch trank, bevor sie morgens zu rauchenbegann. Johann versuchte sich vorzustellen, wie es in Wolfgangs Agentur war oder in dem Kino, wo Maria arbeitete.
    Er lag im Krankenhaus, in einem Bett, er war in einer anderen Welt. Das Dämmerlicht veränderte sich nicht, er wußte nicht, war eine Stunde vergangen, seit er gekommen war, oder schon eine Woche. Er wußte nicht mehr, warum er in das Krankenhaus gekommen war. Warum war er nicht in der Wohnung geblieben? Aber dann fiel ihm ein, daß er dort genauso allein gewesen war wie hier und daß es gerade die Stimmen der anderen gewesen, die nicht auszuhalten waren. Er erinnerte sich an seine schweißig-schmutzige Bettwäsche, an sein Zimmer, dessen herausfordernde Kahlheit er nicht mehr ertragen hatte, an all die Dinge in den Zimmern, die etwas mit Menschen zu tun hatten und ständig Gedanken entzündeten, Überlegungen, Erinnerungen, die einen nicht zur Ruhe kommen ließen. Aber die nach Sagrotan riechende Neutralität des Krankenzimmers war nicht besser. Nur, daß es nichts gab, was die Gedanken auffing und bündelte. Sie wälzten sich im Zimmer umher, ohne festgehalten zu werden, brachen sich an den Wänden, schwappten träge zurück. Also, woran denken? Alles entglitt ihm, er dachte zwar nach, ohne innehalten zu können, aber er wußte nicht worüber; er versuchte sich zu sammeln, aber er behielt nichts zurück. Glaub nicht, du hättest das Meer gefunden, nur weil du ein Sandkorn in deinen Händen hältst, hatte Peter irgendwann einmal gesagt, irgendwo. Wie kam er darauf? Worüber hatte er nachdenken wollen? Warum war er so unruhig? Das grünliche Licht senkte sich bleiern auf seine Lider, aber sein Puls raste. Also worauf wollte er sich konzentrieren? Horst, der halbe Mensch? Nein. Nein, wie kam er auf den? Es war alles so beliebig. Barbara. Mit Barbara schlafen. Sein Magen meldete sich. Nein, vergessen. Warum nicht das Meer. Warum hatte er das Meer nicht gefunden? Es rann zwischen seinen Händen hindurch. Das düstere Ost-Berlin mit JimmyBreen und Jen und dem Baby. Was sie jetzt wohl machten und wo sie waren? Auch alles Dreck und falsch. Vielleicht war es tatsächlich am besten, dem müden grünen Dämmer nachzugeben und die Augen zu schließen. Aber was dann, es gab ja nichts nach dem Aufwachen, niemand war da nach dem Aufwachen, noch war jemals jemand dagewesen zuvor. Konnte er darauf nicht aufbauen, konnte er sich nicht damit abfinden, daß bis jetzt nichts gewesen war und daß danach vielleicht irgend etwas beginnen würde, da draußen? Aber der Gedanke an irgend etwas, an Leben, an Menschen, die sich bewegten, draußen, in hellen Nächten, an Musik, die durch Nerven in ihn rauschte, die er mit Pillen und Rauch blütenweit geöffnet hatte, an Frühlingsplatzregen, verursachte ihm nur wieder Übelkeit, und er hielt sich mit den Händen an den Rändern des Bettes fest, weil das flimmernde Bild vor seinen Augen sich zu drehen begann, Fernsehbild nach Sendeschluß, es rauschte in seinen Ohren, und die Wellen liefen auf ihn zu und brachen sich über ihm, eine nach der anderen, es blieb kaum mehr Zeit zu atmen. Er griff nach der Nierenschale auf dem cremefarbenen blechernen Nachttisch und erbrach sich. Danach war wieder nur Stille.
    Johann richtete sich mit zittrigen Beinen auf und setzte seine Füße auf den gefliesten Boden. Der Boden war eiskalt. Johann ging zum Fenster und blickte hinaus. Da lag der Park des Krankenhauses, graugrünes Gras, rötliche

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