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Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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hatten. Und darum hatte er mit ihnen auch nichts zu schaffen, nicht wirklich, es war ein Spiel für eine Weile, Peter und Barbara, Maria und Anatol, diese Wesen mit Gesichtern, die mich anschauen, was soll das denn heißen, was soll das denn sein, Augen, die dich anschauen, denn eigentlich hat er doch nichts damit zu tun, man lebte sein Leben, um die Stationen abzuhaken, die Namen anzukreuzen, was an welchem Ort, zu welcher Zeit; erst hinterher, wenn man darüber erzählt, gewinnt es an Wirklichkeit, aber das ist doch wahnsinnig, dieses Warten darauf, daß es endlich vorbei sei und man im nachhinein darüber sprechen kann; im Vakuum paddeln, nichts bewegte sich, die Zeit war ein Teich ohne Frischwasserzufuhr, er war eine Kapsel, die in dem Teich trieb, dort gab es diese Worte, für andere Worte. Man gibt einem Wort einen Namen und meint, man habe ihn einer Sache gegeben, die existiert, wo doch überhaupt nichts existiert, das ist komisch, das reizt ihn zum Lachen, diese Worte, L-i-e-b-e, wer wollte damit etwas anfangen, das Wort L-e-b-e–n, was sollte das denn heißen, er weiß es beim besten Willen nicht, also wird er es abschaffen, Leben, das war vielleicht ein ähnliches Geräusch wie der Vorschlaghammer der Neubauten, wenn man es laut genug schrie und oft genug wiederholte; aber das machte ja keinen Sinn, ich will leben, ja warum denn, das gibt es doch gar nicht, abschaffen, er würde es abschaffen.
    Johann stand auf und ging zum Fenster. Draußen war es dunkel, aber er hörte keinen Regen. Die schwache Zimmerbeleuchtung holographierte das schemenhafte Bild eines Gesichtsund eines Körpers in die Nacht hinter dem Glas. Es war ein weißlicher Kopf mit hellem Haar und zwei dunklen Flecken. Die Erscheinung sagte ihm überhaupt nichts. Er trat näher ans Fenster und preßte das Gesicht gegen die kalte Scheibe. Der Park war leer, in der Schwärze waren die Baumgerippe noch schwärzer. Johann ging zurück zu dem Bett. Waren da wieder Gesichter vor schweißnassen Wänden? Er legte sich hin und zog die Decke bis ans Kinn. Was blieb nun noch? Die Gesichterflucht glühender Nächte: Plankton im Netz dunklen Taglichts. Die Gesichterflucht glühender Nächte: Plankton im Netz des Taglichts. Die Gesichterflucht glühender Nächte: Plankton im dunklen Taglicht.
     
    Nach einer Woche begann die Leere sich zu füllen. Sie füllte sich mit Wut, Wut zunächst auf die Leute, die er kannte, weil niemand ihn besuchte, niemand anrief, niemand schrieb. Es war eine kalte Wut, kein plötzliches Aufbrausen; er träumte keine Haßträume, er wollte sie nicht anschreien und nicht schlagen. Dazu waren sie zu weit weg, zu inexistent. Er haßte sie kalt, es war ein neues Gefühl, oder ein Gedanke, ihm war so kühl, daß er das nicht unterscheiden konnte, er sah die fotografischen Bilder der anderen und starrte lange und böse auf sie, ohne daß etwas geschah, ohne daß sich etwas veränderte, er wurde immer kälter dabei und immer leichter.
    Er konnte stundenlang aufgerichtet im Bett sitzen und vor sich hinstarren, als konzentriere er sich auf einen Gedanken, aber er konzentrierte sich nicht, er sah von weither auf die Fotografien herab und betrachtete sie mit kühlem abstraktem Haß, den er selbst nicht verstand.
    Dann bemerkte er, daß es gar nicht um die vier, fünf Menschen ging, die ihn nicht im Krankenhaus besuchten, mit denen er einige Wochen in derselben Wohnung gehaust hatte. Der Abstand zu allem war groß geworden dort obenin jener kühlen Leichtigkeit, und die Unterschiede verwischten sich zwischen Namen wie Barbara und Namen wie Schmidt, zwischen Leuten, deren Bewegungen oder Geruch er besser kannte, und Passanten auf der Straße; zwischen Passanten auf der Straße und Politikern, Fernsehmoderatoren, Schauspielern, den Schwestern, dem Arzt, der türkischen Putzfrau, den Türken am Kottbusser Tor. Alles war gleichweit entfernt, zweidimensional, flache Hell-Dunkel-Mischungen auf fotografischem Papier, mit denen er nicht wirklich zu tun hatte, vielleicht war es auch kein Haß, sondern nur die unüberbrückbare Entfernung, die Distanz und das fehlende Verständnis dessen, was all das zu bedeuten hatte, was sie da trieben, ihre Werte, ihre Regeln, ihre Kämpfe, ihre kleinen Ausbrüche, ihre tagtäglichen Wege. Er war weit fort. Er vermochte nicht, irgendeinen Sinn in ihrer Existenz zu erkennen, die nichts mit der seinen zu tun hatte, schließlich im Wort Existenz selbst nicht mehr.
    Es war kalt in ihm in diesen Tagen und Stunden, und

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