Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
Vom Netzwerk:
Krebshilfe, hatte Maria gelebt.
    Es war ein riesiger Tisch im Zimmer, vom Sperrmüll oder von irgend jemandes Eltern, der immer voll schmutzigem Geschirr stand, und drumherum eine bunte Sammlung verschiedenster Stühle, alte weißlackierte Küchenstühle, räudige altrosa Plüschsessel, aus deren Polsterung die Holzwolle quoll, Drahtrohrstühle wie vom Bauhaus, und auf dem Tisch lagen stets die türkischen Weißbrote, angeknabbert, aufgeschnitten, angetrocknet, und auf dem Bord drei Pfund Kaffee, und ohne Unterbrechung den ganzen Tag, das heißt ab zwei Uhr nachmittags, tropfte und blubberte der Kaffee in der Maschine.
    Die Anlage lief den ganzen Tag mit voller Lautstärke, meistens war einer der Lautsprecher durchgeknallt, aber vierundzwanzig Stunden am Tag Musik, denn es gab keinen Augenblick, in dem nicht irgendeiner wach war oder nach Hause kam. Der Ausguß war bunt, jeden Tag von anderer Farbe, weil alle Leute sich andauernd die Haare färbten, das war eine der Hauptbeschäftigungen, immer lehnte irgendwer über dem Becken, und an den Seiten glänzten Hennaränderüber pinkfarbenen, grünen, blauen, wasserstoffblonden, karottenfarbenen und schwarzen.
    Auf dem alten Sofa stapelten sich die schmutzigen Klamotten, der Abfall und die Müllsäcke. Und in den einzelnen Zimmern war nichts vor den anderen sicher. Unter dem Banner der Anarchie klaute jeder jedem alles, was er gerade brauchte, frische Unterhosen und Socken, Cassetten, Bleistifte, gebunkerte Fressalien, Bücher, und wenn du irgend etwas verschlossen hattest, was ohnehin verpönt war, dann konnte es auch passieren, daß sie dir den Schrank aufbrachen, während du fort warst, man kannte ja die Hälfte der Leute nicht, es war ein ständiges Kommen und Gehen, und jeder brachte Freunde mit, oder Bekannte, und irgendwelche Punks oder Treber kamen einfach so, um Geld oder Shit zu schnorren oder sich nur vollzufressen oder eine Anlage mitgehen zu lassen.
    Der Verrückteste, der bei uns wohnte, war Zoss, der war damals erst sechzehn oder siebzehn, und niemand wußte, wo er herkam, und natürlich war er arbeitslos, er dröhnte sich den ganzen Tag den Kopf voll Speed und Musik und war nachts unterwegs. Er war klein und mager und völlig weiß, er lebte auch nur von dem Türkenbrot und Kaffee, und er war wochenlang unterwegs, ohne zu schlafen, und manchmal tagelang verschwunden, und dann kam er zurück und fiel einfach um und schlief drei Tage lang durch. Einmal räumte ich die dreckige Wäsche und die Müllsäcke vom Sofa, und da lag er drunter, zusammengerollt wie eine Katze, und schlief wie ein Baby.
    Er hatte eine Gabe, er konnte aus Nichts, Müll und Spucke wunderbare und witzige Geschenke machen, er besaß eine ungeheure Phantasie, wenn es ihn überkam, zog er sich mit allem Kram, den er im Haus auftreiben konnte, einen Nachmittag lang in ein Zimmer zurück und machte Geschenke für die Leute, Geschenke, die irgendeinem Tickoder einer Eigenart oder einem Wunsch von uns entsprachen oder sich darüber lustig machten, die Sachen waren herrlich, und du kamst aus dem Lachen nicht mehr raus, und er griente dich an mit seinen schlechten Mäusezähnen, den roten oder grünen Filz auf dem Kopf, und war glücklich.
    Das konnte er wie kein Zweiter, aber zu Geld läßt sich so etwas natürlich nicht machen, und das war das einzige, was ihm Spaß machte. Letztes Jahr habe ich ihn zuletzt gesehen, er war völlig verändert, von Speed und Alk weg, und jobbte irgendwo, wo er unglücklich war, und wohnte allein in Neukölln und brachte kein Wort mehr heraus.
    In der Danckelmann hatte er einmal zwei zahme Ratten, und als er wieder für zwei Wochen verschwand, ließ er sie in meiner Handtasche und steckte ein Weißbrot hinein. Als er wiederkam, war die ganze Tasche lebendig und bewegte sich und stank, und außer den zwei Großen waren jetzt zwanzig Kleine da, winzig, weiß und noch blind, und die flitzten dann in der Wohnung rum, nagten alles an, fraßen vom Tisch, so daß man glaubte, schon im Delirium zu sein. Schließlich kratzten die Großen ab, weil irgendwer Gift gelegt hatte, und Zoss war so außer sich, daß er wie wahnsinnig tobte und ein Fenster mit dem Stuhl einwarf und auf dem Hof ein Feuer anzündete und alle zusammenschrie, er fragte schreiend, wer es gewesen sei, und er wolle den Rest der Arbeit auch noch gerne tun, und er hatte all die kleinen Ratten in einer Tasche, und dann warf er die Tasche ins Feuer, und schrie und sang, und die Leute standen an den Fenstern

Weitere Kostenlose Bücher