Der Sauerteig - das unbekannte Wesen
Gerstenmehl-Wasser-Masse geimpft mit Anstellgut eines Weizensauerteiges beispielsweise. Dieses, konsequent mit Gerstenmehl gefüttert, ergibt nach ca. 18 bis 24 Stunden einen Gerstensauerteig.
Dieses «Umzüchtung» hat den Vorteil, dass man schnell eine gärstarke und sehr stabile Sauerteigform erhält, mit der man sofort backen kann, die keine langen Ansatz-Zeiten benötigt und die auch recht sicher vor einer ungewollten Fremdverkeimung mit schädlichen Bakterien und Schimmelpilzen ist.
Dank dieser Methode kann man Sauerteig mit Mais, Gerste, Buchweizen, Reis und allen anderen stärkehaltigen Getreidearten (Buchweizen und andere Pseudogetreide eingeschlossen) herstellen. Manche dieser exotischen Sauerteige sind vielleicht nicht besonders sinnvoll (oder ich habe den Sinn dabei noch nicht gefunden), andere sind hochinteressant für Anwendungen, die mit Brotbacken erst einmal nichts zu tun haben (siehe Sauerteig-Trunk etc.).
Der Übliche: Roggensauerteig
Der Roggensauerteig ist die bekannteste und wahrscheinlich auch wichtigste Sauerteigform.
Roggenmehl lässt sich nicht ohne weiteres verbacken, weil es das roggeneigene Fraßschutzgift Phytin enthält, das die Bildung einer stabilen Krume stört: Dem Teig muss daher eine Säure zugegeben werden, um Roggenmehl backbar zu machen. Diese Aufgabe erfüllen die Milch- und Essigsäurebakterien in hervorragender Weise. Dass sie als dritten Begleiter auch noch eine Hefe mitbringen (die wilde Sauerteighefe), ist ein gerne angenommener Nebeneffekt für die Teiglockerung.
Da sich die Säurebakterien im Roggensauerteig sehr stark vermehren, ist der Roggensauerteig der sauerste aller Sauerteige. Weizen- und Dinkelsauerteige sind wesentlich milder. Die starke Säure passt aber optimal zum kräftigen Geschmack des Roggenmehles.
Roggensauerteig wird eingesetzt zur Säuerung und Lockerung von allen Broten mit mehr als 50 Prozent Roggenmehlanteil. Dies sind also die reinen Roggenbrote und Roggenmischbrote. Bei Roggenschrotbroten (also den Vollkornbroten) ist keine andere Sauerteigform in der Lage, den bekannten unnachahmlichen Brotgeschmack hervorzubringen.
Versäuert werden müssen zwischen 30 und 50 Prozent der Roggenmehlmenge (je nach Geschmack). Dies führt zu der folgenden Formel:
Wollen wir ein mildes Brot, so benötigen wir mindestens genau so viel Sauerteig, wie wir im Brotteig noch Roggenmehl dazu tun möchten.
Für ein kräftiges und saures Brot brauchen wir höchstens doppelt so viel Sauerteig, wie wir im Brotteig noch Roggenmehl dazugeben wollen.
Roggensauerteig ist meistens strenger im Geruch und Geschmack als Weizensauerteig und hat in der Regel eine braun-gräuliche Farbe. Er ist wegen der Säure extrem stabil und resistent gegen Fremdverkeimung. Sein Hefeanteil ist aber geringer als bei seinem Weizen-Bruder. Deswegen geht der Teig auch nicht ganz so schnell und stark auf wie ein Weizen- oder Dinkelsauerteig.
Der Milde: Weizensauerteig
Etwas unbekannter, aber nicht minder gut als der Roggensauerteig, ist der Weizensauerteig. Die Variante «Dinkelsauerteig» ist hier inbegriffen. Es gibt drei große und bekannte Backwaren, die ursprünglich auf Weizensauerteig basieren: das italienische Ciabatta, der ebenfalls aus Italien stammende süße Topfkuchen Panettone (der in Deutschland mit Rosinen, Orangeat und Zitronat gerne zu Weihnachten verzehrt wird) und das französische Baguette. In Deutschland dagegen ist der Weizensauerteig weitgehend unbekannt. Aber das hat er nicht verdient!
Im Gegensatz zum Roggensauerteig wird beim Weizensauerteig kein so großer Wert auf die Säuerung als vielmehr auf die sauerteigeigene Hefe gelegt. Auch das Aufschließen der Stärke im Mehl des Teiges durch das lange Quellen (der Fachmann nennt das «Fermentierung») hat enorme Vorteile gegenüber dem frisch zubereiteten Hefeteig.
Ein Weizensauerteig ist viel milder als ein Roggensauerteig. Und er kann durch die Verwendung von Milch anstelle von Wasser sogar noch milder gemacht werden. Er hat eine feine säuerliche, nach Zitrusfrüchten duftende Geruchsnote und einen grazilen, an Dickmilch oder Joghurt erinnernden Geschmack. Von der Farbe her ist er hellbeige bis hellbraun.
Leider ist er nicht ganz so stabil wie der Roggensauerteig, was die Besiedlung von Fremdkeimen anbelangt. Das liegt vor allem an der nur schwächer ausgeprägten Säure. Dafür hat er eine stark gärende Hefe, die für die lockere Krume des Backwerks wichtig
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