Der Schachspieler

sein Studium hinschmiss. Cady konnte verstehen, dass ein Vorfall wie der am Snow Goose Lake einen jungen Mann dazu bringen konnte, sein ganzes Leben in Frage zu stellen, doch was Ingram danach tat, machte Cady stutzig.
    »Nach Princeton verbrachte er drei Monate im Copacabana Palace Hotel in Rio de Janeiro, direkt am Strand.«
    »Herrgott, Liz, und ich dachte immer, die meisten Studienabbrecher kehren zurück zu Mommy und Daddy und nehmen den erstbesten Job an.«
    Preston zuckte die Achseln. »Nach seinem Aufenthalt in Rio lässt er sich in Cohasset, Minnesota, nieder, und kauft eine Ferienanlage: Sundown Point.«
    Cady überlegte einen Augenblick. »Jetzt wissen wir, warum sie Sanfield den Zauberer nannten.«
    Cadys Telefon läutete. Er hob beim ersten Klingeln ab. Der Pathologe hatte soeben die Obduktion der fünf jungen Frauen abgeschlossen, die man vom Grund der Chesapeake Bay geborgen hatte.
     
    Cady hielt hinter dem Streifenwagen an.
    Sie hatten ihm etwas vorgespielt. Der Kongressabgeordnete und der Senator hatten Angst: Das hatte sie bewogen, dem FBI einen kleinen Anstoß in die richtige Richtung zu geben und außerdem den Personenschutz für Patrick Farris zu verstärken. Doch die Angst war wohl nicht groß genug, um die volle Wahrheit zu sagen.
    Senator Farris befand sich auf einer Veranstaltung zum Auffüllen der Wahlkampfkasse in Dover, Delaware. Cady nutzte die Gelegenheit, den Sohn in Abwesenheit des Vaters zu sprechen. Sein Instinkt sagte ihm, dass Patrick Farris niemals von der festgelegten Linie abweichen würde, solange sein Vater dabei war und einschreiten konnte. Cady war bereits unterwegs zu Farris’ Haus, als er ihn anrief, sich wegen der späten Stunde entschuldigte und ihm erzählte, dass er einige nebensächliche Fragen über andere Studenten aus der Zeit damals hätte. Ebenso gelogen war, dass Cady nur eine oder zwei Minuten seiner kostbaren Zeit in Anspruch nehmen würde, wie er dem Abgeordneten versicherte.
    Zu seiner Überraschung reagierte Patrick Farris überaus freundlich und wohlwollend.
    Cady trat auf die Fahrerseite des Streifenwagens und zeigte den Polizisten seinen Ausweis.
    »Wir haben Anweisung, jede Stunde vorbeizukommen«, berichtete der Mann hinter dem Lenkrad. »Wissen Sie, worum es überhaupt geht?«
    Cady zuckte die Achseln. »Reine Vorsichtsmaßnahme.«
    »Ich hab gehört, der Secret Service bringt ihn zum Rayburn House und wieder nach Hause«, sagte der Kollege auf dem Beifahrersitz. »Es geht um den Chessman, oder?«
    Cady fluchte im Stillen. Zu viele Beteiligte an den Ermittlungen machten es praktisch unmöglich, die Sache unter Verschluss zu halten. »Der Abgeordnete hat Sanfield und die Zalentines gekannt. Behalten Sie das aber für sich. Wie gesagt, eine reine Vorsichtsmaßnahme.«
    »Erwartet er Sie so spät noch?«
    Cady schaute auf seine Armbanduhr. Fast elf.
    »Ja.«

11
    P atrick Farris öffnete die Tür seines dreigeschossigen Stadthauses, eines eleganten Backsteinbaus in Woodley Park, nicht weit von der Connecticut Avenue entfernt gelegen. Der junge Abgeordnete machte einen abgespannten Eindruck.
    »Agent Cady«, sagte Farris und trat zur Seite, um den FBI-Agenten hereinzulassen. »Willkommen in meiner bescheidenen Behausung.«
    »Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie und Mrs. Farris so spät noch störe.«
    »Kein Problem. Meine Frau ist in Florida, und ich bin eine Nachteule.«
    »Sie sehen müde aus.«
    »War ein langer Tag.« Farris führte Cady über eine kurze Treppe zu einem Wohnzimmer von der Größe eines Basketballfelds mit einer großzügigen braunen Ledercouchgarnitur in der Mitte. Mehrere italienische Lehnstühle standen nach innen gerichtet an gegenüberliegenden Enden der Garnitur. Die Sitzgelegenheiten waren so angeordnet, dass sie den Gästen die perfekte Sicht auf etwas eröffneten, das Cady erst erblickte, als er die letzten Stufen hochstieg: ein riesiges Aquarium. Wenn es in den drei Stockwerken einen Raum gab, der prädestiniert dazu war, Gäste zu empfangen, dann war es dieser.
    »Den erneuerbaren Energien gehört ja sicherlich die Zukunft«, erklärte Farris. »Aber wenn Sie so viele Gesetzesentwürfe über Biosprit, Windenergie und Elektroautos lesen, dann fühlen Sie sich irgendwann so ausgelaugt, dass Sie sich am liebsten in den Potomac stürzen würden.«
    »Dann sind Sie im Energieausschuss?«
    »Ich Idiot hab’s für einen Volltreffer gehalten, als ich in den Ausschuss berufen wurde.«
    Cady trat ans Aquarium und betrachtete die