Der Schachspieler
alles, was er von sich gab und lauter als ein Flüstern war, von irgendwelchen Technikern aufgezeichnet wurde, die hier in New York für den Koordinator arbeiteten. Bestimmt kontrollierten sie auch seine Computer mit irgendeiner Schnüffelsoftware, die jedes Wort registrierte, das er eintippte, und jede E-Mail, die er abschickte oder empfing. Wahrscheinlich verfolgten sie jeden seiner Schritte im Internet, doch sein kleiner Google-Ausflug zeigte ihnen nur, dass er kein Vollidiot war und dass sie ihn genau da hatten, wo sie ihn haben wollten. Er surfte noch eine halbe Stunde nach Cricketergebnissen und Punktelisten, damit sich die etwaigen Beobachter auch gebührend langweilten.
Man warnt Kinder oft davor, Tiere zu bedrohen: Nie einen Waschbären in die Enge treiben oder einen Stein in ein Hornissennest werfen, denn damit reizt man Tiere so weit, dass sie sich mit aller Kraft wehren. So etwas kann leicht ins Auge gehen, sagt man Kindern mit erhobenem Zeigefinger. Das Gleiche gilt für Betrüger. Am besten nimmt man sie aus und bringt sie entweder ins Gefängnis oder macht sich schnell aus dem Staub. Dass diese Leute aus Chicago Hartzell nach und nach alles wegnahmen und ihn zwangen, sich unterzuordnen wie ein gewöhnlicher Dieb, widerstrebte ihm nicht nur zutiefst, sondern gab ihm auch Zeit zum Nachdenken und Pläneschmieden.
Bemerkenswerterweise hatte Lucy lange vor ihm in diese Richtung gedacht. Schon am ersten Morgen nach der Ankunft des Koordinators brachte sie die innere Kraft auf, zum Tanzunterricht zu gehen, als wäre nichts geschehen. Sie kämmte ihre Locken über den Verband an ihrer Stirn und legte ihren Arm in eine Schlinge, bevor sie Hartzell lange und innig umarmte. Schließlich drehte sich sogar der Koordinator zum Fenster, um den beiden einen privaten Moment zu gönnen. Hartzell war völlig erledigt, nachdem er die Nacht damit zugebracht hatte, gewisse Vereinbarungen mit dem Kerl zu treffen, der für die nächste Zeit sein Leben koordinieren würde, doch ihre leisen Worte durchdrangen seine Niedergeschlagenheit. »Dreh den Spieß um, Papa«, hatte ihm Lucy an jenem Morgen ins Ohr geflüstert. »Dreh den Spieß um.«
Duilio »Leo« Fiorella hatte, so schien es, eine große Schwäche: seine unersättliche Gier. Da Hartzell selbst nicht ganz unähnlich war, kannte er sich mit diesem Charakterzug gut aus. War es tatsächlich möglich, den Spieß umzudrehen, sodass es am Ende Duilio »Leo« Fiorella war, der, um bei St. Nicks drastischen Worten zu bleiben, in der Scheiße saß?
Hartzell wusste, dass er bei dem Koordinator auf Granit beißen würde, doch Vince und David waren Buchhalter der AlPenny Group, diesem alchemistischen Unternehmen, in dem Fiorella das Blei seiner dunklen Machenschaften – Drogengeschäfte, Glücksspiel und Prostitution – in Gold verwandelte. Bei diesen beiden Typen sah Hartzell eine Chance. Wenn er ihnen ein bisschen Luxus bot, würden sie ihm vielleicht den Spielraum geben, den er brauchte, um seine Vorkehrungen zu treffen.
Und so begann Hartzell seine Charmeoffensive jeden Morgen mit frischen Bagels, die mit dem Lieblingskaffee des Koordinators, Kopi Luwak, hinuntergespült wurden. Zum Mittagessen gab es entweder etwas Französisches bei Daniel oder Lammkoteletts im The Palm, oder falls sie einmal Heimweh hatten, ein Festmahl bei Da Nico. Er besorgte sogar Logenplätze für ein Baseballspiel im neuen Yankee Stadium, alles auf seine Kosten. Er beantwortete bereitwillig ihre Fragen, auch die über seine betrügerischen Aktivitäten, und blieb dabei nahezu fünfundsiebzig Prozent bei der Wahrheit, was bei ihm ausgesprochen viel war.
Zu Beginn der zweiten Woche waren die drei bereits die dicksten Kumpel: drei Kollegen, die ihre Berufsgeheimnisse austauschten. Hartzell schilderte ihnen in angeregten Gesprächen all die Tricks, die er in seinen »Investmentgeschäften« angewandt hatte. Die drei lachten über Hartzells geniale Strategien zur Steuervermeidung, seine kreative Buchführung und die psychologischen Studien über seine reichen Opfer.
Hartzell setzte sich mit ihnen an den massiven Mahagonitisch im großen Konferenzraum im dreißigsten Stockwerk des Bürogebäudes in der Park Avenue, dem imposanten Sitz von Hartzell Investment Inc., der seine Aura als Investmentkönig unterstrich und die Klienten dazu brachte, ihre Scheckbücher zu öffnen. Er führte Vince und David durch das Haus, lud sie in der Cafeteria im ersten Stock auf einen Caffè latte ein und verriet ihnen
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