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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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Kenilworth Arms gab. Die Backsteine waren kalt und einförmig, gewappnet für die künftigen Offensiven des Wetters und des Smogs.
    »Ich weiß genau, dass der Verputz der Wand nicht mehr als ein, zwei Zentimeter dick ist, weil ich ein Stück davon herausgeschlagen habe, als ich eingezogen bin. Die Isolierung ist für den Arsch – die stammt noch von vor dem Krieg, und damit meine ich nicht den Vietnam- oder den Koreakrieg. Was die Brandgefahr betrifft: Die Feuerwehr müsste den Laden hier eigentlich dichtmachen.«
    »Ich glaub es dir ja.« Ihre Zähne klapperten. Eine halbe Stunde vorher war ihre Haut so heiß gewesen, war ihr innerlich so warm, war sie so erregt, so feucht, so geil gewesen. Und jetzt war es, als würde sie unter einer eiskalten Dusche wieder aufwachen. Jonathan schloss das Fenster, und sie seufzte dankbar.
    Er zog das eine Ende der Verlängerungsschnur durch den Zulauf der Heizung, die, wie er wusste, nicht heiß genug wurde, um das Kabel anzuschmoren. Jamaica hatte ihre Jeans und ihr Sweatshirt wieder angezogen und sich wie ein Indianer in den geöffneten Schlafsack gewickelt.
    Jonathan öffnete das Fenster wieder und rollte das Kabel ab. Es reichte nicht ganz bis zu den Fenstern des ersten Stocks. Das Kenilworth hatte hohe Räume. Mit der Geduld eines Fischers wickelte er die Schnur um seinen Unterarm, befestigte das zweite Kabel daran und versuchte es erneut, wobei er den Knoten in der Mitte ziemlich dick machte. Das Kabel reichte nicht aus, um das Ganze doppelt zu nehmen, wie er gehofft hatte.
    Er stapfte in seinem Parka nach draußen und stellte fest, dass er noch circa zweieinhalb Meter Reserve hatte. Er nahm das Kabel um sein Handgelenk doppelt und zog sich bewusst langsam hoch. Er fühlte, wie sich das Kabel spannte und ließ sich wieder in den Schnee herunter. Während Jamaica ihm aus dem Fenster zusah, ihr Gesicht eine weiße Maske in einem Strahlenkranz aus Daunen, griff er noch einmal nach dem losen Kabel und wiederholte die Prozedur. Die Schnur spannte sich pfeilgerade, und er zählte langsam bis dreißig, während er an ihr hing, die Schuhe gegen die rutschigen Mauern gestemmt. Das Kabel hatte ein wenig Spiel und dehnte sich, wenn auch nicht viel, unter seinen 70 kg. Er stieg an dem Gebäude bis auf Kopfhöhe hinauf. Er zappelte ein wenig herum. Die Isolierung wurde heftiger beansprucht und zog die Knoten straffer zusammen. Er hörte auf, bevor er den Heizkörper aus der Wand riss, was den ganzen Ereignissen der Nacht jetzt die Krone aufgesetzt hätte.
    Er konnte dieser Konstruktion für einen Auf- und Abstieg trauen.
    Jamaica war im Bad und wusch sich die Hände. Die Katze schlief, nachdem sie sich zur eigenen Zufriedenheit geputzt und sauber geleckt hatte. Der blutig rote Riss war zu einem kastanienbraunen Strich geschrumpft, das Blut darunter war geronnen.
    »Himmel! Das müssen dreißig Grad minus da draußen sein. Noch kälter, wenn man den Wind bedenkt.«
    Er fuhr die Linie des Schlitzes mit dem Finger nach, obwohl er Jamaica Minuten zuvor verboten hatte, das zu tun. Der Spalt war immer noch feucht, aber er schloss sich von Sekunde zu Sekunde mehr. Er war jetzt nur noch halb so groß wie zuvor.
    Sie ertappte ihn dabei. »Jonathan …«
    »Das ist wie Haut. Wie ein Schnitt, der sich im Zeitraffer wieder schließt.« In der Mitte hatte es die Konsistenz von Töpferton, am Rande hatte die Wand wieder ihre normale Festigkeit angenommen. Die Farbe war jetzt sauber und unberührt. »Hast du in Cruz’ Wohnung auch so etwas gesehen?«
    »Nein!« Als ob sie das nicht gesagt hätte, wenn sie das getan hätte. »Bestimmt nicht. Aber ich kann auch nicht behaupten, dass ich nach so etwas gesucht habe. Du hast selbst gesagt, dass die Katze vielleicht durch das Loch hier hereinspaziert ist, und das hast du auch nicht gesehen.«
    Er schüttelte den Kopf. »Es war vorher nicht da.« Er war sich sicher. »Und in ein oder zwei Minuten wird es auch nicht mehr da sein.«
    Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Du wolltest gerade so etwas sagen wie: ›Du wirst es nicht glauben, aber …‹«
    »Ja … Dieses aber … Irgendetwas ziemlich Seltsames geht in diesem Gebäude ab, und dabei meine ich keine Polizeirazzien oder Schlägereien oder Einbrüche. Zurzeit könnte ich mir sogar vorstellen, dass dieser kleine mexikanische Junge verschwunden ist, weil er in so ein Loch wie dies hier hereingekrabbelt ist.«
    »Oh, klasse.« Sie rieb sich langsam das Gesicht, als sei sie von einer Welt voller

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