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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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herausgespült.
    Cruz wusste, dass er nicht – so wie Rauch um eine Ecke – einen Bogen beschreiben und fallen würde, aber er hatte trotzdem diesen Gedanken, genauso wie jeder, der hoch genug auf einem Dach ist, daran denkt, herunterzufallen. Die Schwerkraft sorgt für den freien Fall. Und dann das Zusammentreffen mit Beton und Stein und Sachen mit scharfen Ecken und Kanten.
    Verflucht, er könnte wirklich eine doppelläufige Ladung des weißen Zeugs gebrauchen, um die Kammern seines Hirns durchzulüften. Um die Reflexe zu schärfen und diese verdammten Schmerzen in der Schulter zu lindern.
    Irgendwo hinter geschlossenen Türen schrie eine Frau im zweiten Stock. Sorry, Lady, ich habe meine eigenen Probleme. Er fragte sich, ob der theoretische Geist vom Kenilworth so spät noch auf war und herumspukte.
    Noch ein Dong. Eine große Faust oder so etwas Ähnliches, die auf das Dach der Kabine hämmerte. Cruz stemmte die innere Tür zurück und ließ sich hängen, wobei er seinen Fuß auf den Rahmen des Drahtgeflechtgitters unter sich stemmte. Jetzt trat er gegen die Tür, statt sich nur dagegenzustemmen.
    Ein weiterer Gedanke: Die Mechanik des Fahrstuhls fraß sich da oben selbst auf. Sie fiel auseinander. Die Kabine würde sich jeden Moment losreißen und in die Tiefe fallen.
    Wenn sie jetzt herunterfiel, dann würden seine Beine durch den Beton und den Stahl guillotiniert. Zerschmetterte Knochen, abgetrennte Beine. Er würde in zwei Teile geschnitten wie ein Fingernagel.
    Das ganze verdammte Gebäude drehte durch.
    Bei seinem zweiten Tritt gab die Tür unter ihm nach und schwang weit auf. Cruz schlängelte sich heraus und stieß sich den Ellbogen an, als er fiel und sich abrollte. Die Tür schlug wieder zu und rastete laut hörbar ein. Er lag eine paar Sekunden lang reglos auf dem Boden. Er roch Katzenpisse, während sein Herzschlag wieder nach einem normalen Rhythmus suchte. Egal, was er sonst war, noch war er am Leben und atmete.
    Er ließ sich noch mal seine Optionen durch den Kopf gehen.
    Mittlerweile musste Marko beim Appartement 323 gewesen sein und gemerkt haben, dass er geleimt worden war. Da er Cruz’ Wohnung auf der anderen Seite des Gebäudes schon gefilzt hatte, würde er sich augenblicklich bei Bauhaus melden. Sie würden beide wissen, dass er aus dem Krankenhaus verschwunden war. Er musste Jamaica warnen, aber nicht per Telefon. Auch Jonathan musste eingeweiht, vielleicht sogar beruhigt werden. Cruz glaubte nicht, dass Jonathan wirklich in Gefahr war, genauso wenig wie die Möglichkeit, den Fahrstuhlschacht hinunterzufallen, eine wirkliche Gefahr gewesen war.
    Er schob sich die Haare aus den Augen und überblickte den Flur des zweiten Stocks. Noch einmal ein Schrei, vom anderen Ende des Gebäudes, seinem Ende des Kenilworth. Irgendeine Fotze, die Prügel bezog, weil sie sich während ihrer Tage nicht vögeln lassen wollte. Oder irgendeine Ziege, die mit ihrem Blag nicht fertig wurde, und die daher herumschrie wie die puta Velasquez. Irgendeine Heulsuse, die nicht all die weltlichen Güter hatte, die sie laut ihrer Bibel der Fernsehgameshows haben sollte, und die das an ihrem Hilfsarbeiterfreund ausließ. Wen interessierte das schon?
    Vielleicht wollte sie auch nur weg. Bloß weg. Das konnte Cruz nachvollziehen.
    Der Gedanke an Marko und Bauhaus ließ Cruz auch an einen anderen Nutzen für den Spalt zwischen den Stockwerken denken. Ein wirklich verzweifelter Mann konnte sich da verstecken, man könnte durch die Dachluke des Fahrstuhls kommen und gehen. Man brauchte dazu Werkzeug und Vorräte und ein paar Vorbereitungen, aber abgesehen davon war das idiotensicher. Wer sollte schon auf die Idee kommen, da nachzusehen? Mit all den Kellerräumen und den zugemauerten Fluren und den unterteilten Appartements und den unerwarteten Winkeln hatte das Kenilworth mehr vergessene Hohlräume als ein Kriminalroman Geheimtüren.
    Er ging zurück bis zur Osttreppe und kam dabei direkt an Jonathans verschlossener und verriegelter Außentür vorbei. Die Geräusche der Hoffnungslosigkeit waren verstummt. Cruz zögerte. Jetzt oder erst, nachdem er sich seine eigene Wohnung angesehen hatte?
    Nichts ermutigte ihn dazu, zu klopfen, und so nahm er die Stufen eine nach der anderen. Sollte Jonathan doch noch die zehn Minuten Schlaf genießen, wenn er sowieso mitten in der Nacht geweckt werden würde.
    Als er um die letzte Ecke bog und auf die dritte Etage gelangte, starrte ihn ein schwarzes Gesicht aus Appartement 304 an und

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