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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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die Schlinge für seinen Arm wieder in Position und fixierte den Arm direkt über dem Band, mit dem die Jacke über der Taille gerafft wurde. Er musste seine Zähne benutzen, um die Schlinge wieder festzuzurren. Als er den Reißverschluss zuzog, war sein Arm stabilisiert, sicher.
    Er überließ Appartement 307 seinem Schicksal und richtete seine Schritte wieder in Richtung Treppe. Er vermied den verdammten Fahrstuhl. Als er um die Ecke im zweiten Stock bog, kollidierte er mit Jamaica, die aus Jonathans Appartement gerannt kam und es offenbar viel zu eilig hatte, um die Türen hinter sich zu schließen.
    Der irre Blick in ihren Augen war ein Schlag für Cruz’ Optimismus, trampelte auf ihm herum, warf ihn auf den Rücken und gab ihm dann den Rest.
     
    Wenigstens fand sie Gummihandschuhe in einer von Jonathans Küchenschubladen. Die hatte sie aber auch nötig.
    Seit sie begonnen hatte, das Verlängerungskabel hochzuziehen, hatte sie sich vollkommen eingedreckt. Das Kabel war dick beschmiert und ölig durch irgendeinen gelatineartigen Matsch. Sie versuchte, sich die Hände abzuwischen, und verteilte den Schmier nur. Er war trübe und glitschig wie Olivenöl, es fehlte ihm nur der charakteristische Geruch.
    Wie gewöhnlich brauchte das Wasser seine Zeit, bis es warm wurde. Sie hielt ihre Hand unter den Hahn. Der Klumpen verharrte einen Moment lang, dann rutschte er herunter, um den Abfluss zu verstopfen, und hinterließ eine Schmierspur auf ihrer Handfläche. Sie rieb mit einem Papiertaschentuch darauf herum und beeilte sich dann, die Gummihandschuhe zu finden. Schließlich war es Jonathan und nicht sie, der da unten war und in der Scheiße herumwaten musste.
    Wie tief die Scheiße war, in der er watete, konnte sie nur raten, und dabei blieb es auch. In dem trügerischen Licht von Jonathans Lampe konnte sie aus zwei Etagen Höhe nur die lang gezogenen Schatten sehen. Es war, als versuche man, einer Schießerei am Ende einer dunklen Allee zu folgen. Ihre Perspektive war völlig verzerrt. Und bei der geisterhaften Akustik in dem Schacht ging es ihr mit den Geräuschen nicht besser. Sie konnte hier keiner Sinneswahrnehmung trauen.
    Der Müllbeutel von Cruz kam hoch und hatte einen langen Riss in der einen Seite. Er war so zugeschmiert mit dem Modder, dass Jamaica beschloss, ihn in der Wanne liegen zu lassen. Mit ihren behandschuhten Händen erweiterte sie den Riss und dann die Knoten, die Cruz gemacht hatte. Das war sogar ziemlich einfach, weil alles so glibbrig war.
    Was auch immer da unten den Beutel durchstochen hatte, es hatte ein Kilo Koks auf dem Gewissen. Sie hob einen mit Packband verklebten Ziegel mit einem gähnenden Mund heraus … und der Mund war leer, seine weiße Beute an das Wasser verloren. Damit war die halbe Miete schon mal futsch.
    Das Gewicht der Pistole in der Keksdose hatte das andere Kilo gerettet, weil sich das Plastik noch einmal darum herumgewunden hatte. Jamaica wickelte es ab, und es war so verknotet, dass sie wieder Hoffnung schöpfte. Zu ihrer Überraschung war die Schachtel so trocken wie in der Nacht, als sie sie übergeben hatte. An dem Klotz waren zwar ein paar Wassertropfen, aber die Versiegelung war unverletzt.
    Tu deinen Job, sagte sie sich und warf hastig wieder das Seil zu Jonathan herunter.
    Sobald sie hier fertig waren, konnte man das Badezimmer vollkommen vergessen. Am besten duschten sie noch und schrubbten sich ab und überließen dann die Reinigung aller unbelebten Teile einem späteren, weniger vom Glück begünstigten Bewohner.
    Die Kletterschlingen rutschten ihr durch die Hand, bis das ganze Seil abgerollt war. Sie hörte Geplansche, dass ihr aus dem Schacht entgegenkam, als sie das Kilo und die Pistole auf den Deckel der Toilette legte. Es wäre wirklich blöd, wenn sie jetzt noch das Risiko eingingen, dass die Sachen nass würden.
    Ein Kilo – vierzig Riesen, vielleicht fünfzig. Sie konnten das fast reine Zeug von Bauhaus noch um fast dreißig Prozent strecken, bevor man eine Abnahme in der Wirkung spüren würde. Damit war die Ladung dann ungefähr … Scheiße. Sie brauchte schon einen Taschenrechner, nur um auszurechnen, was der Klumpen wert war.
    Sie hielt ein Seil in der Hand, über eine stinkende Badewanne gebeugt, in einer menschenunwürdigen Behausung, in die es hineinschneite, ängstlich und verzweifelt; und plötzlich war sie unfähig zu den simpelsten Rechenaufgaben: Das machte sie so wütend, dass sie die Wand eintreten wollte. Das Leben auf der Überholspur

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