Der Schacht
wurde fast augenblicklich durch eine zugeknallte Tür ersetzt. In dem Blick waren Ärger und Feindseligkeit, aber auch Angst. Du bist nicht meine Schwalbe, nicht mein Dealer, nicht mein Boss, also scher dich zum Teufel.
Cruz schlich sich, wie ein guter Spion, zu seiner eigenen Tür, zu 307. Spion war heute Nacht seine Rolle. Er stellte fest, dass die Außentür geschlossen, aber nicht verschlossen war. Die Innentür hinter der Luftschleuse stand immer noch zehn Zentimeter weit auf, und Licht strahlte in den engen Vorraum. Als er die Tür ganz aufstieß, jederzeit zur Flucht bereit, wurde ihm die zusätzliche Ingredienz im wütenden Blick des Schwarzen klar, einem Mann, den er vorher nie gesehen hatte und der für ihn genauso aussah wie jeder andere Nigger.
Ein entrüsteter Vorführer ließ den ganzen Film noch einmal auf der Leinwand hinter Cruz’ Augen ablaufen. Du Trottel. Hättest du dir das nicht denken können?
Marko bricht ein, wobei er entweder einen Schlüssel oder einen guten Dietrich benutzt. Er stellt 307 zügig, methodisch und professionell auf den Kopf. Er kennt die Methoden von FBI-Agenten und hetzt von Ort zu Ort wie ein Tänzer, der vor einem Preiskomitee tanzt. Nach drei Minuten ist er wieder draußen. Während Cruz noch versucht, einen Taxifahrer dazu zu bringen, ihn nach Oakwood zu fahren, kommt der Kerl aus 304 nach Hause, der sich wahrscheinlich tagsüber mit irgendwelchem kriminellen Kleinkram die Brötchen verdient. Er sieht, dass die Tür von 307 offen steht. Nach kurzem Zögern riskiert er einen Blick. Er sieht den Ghettoblaster, die Tapes, du Kamera. Marko hat schon vorher den Film aus der Kamera genommen. Der Schwarze beschließt, einem von Chicagos besseren Pfandläden Cruz’ unbewachte Habe zu vermachen. Er arbeitet schlampig, braucht dreimal so lange wie Marko und hinterlässt ein fürchterliches Chaos. Zuerst der Profit und dann der Amateur – Cruz ist völlig ausgenommen worden.
Er ließ sich niedergeschlagen auf sein Bett fallen. Sogar das Bier hatte sich aus dem Kühlschrank verabschiedet. Er hoffte, dass der gerade wieder mal auf Kochen gestanden hatte.
Und wieder zerbrach etwas.
Es war nicht das Kenilworth, in dem ein weiterer Saum aufplatzte. Es war auch nicht Cruz schäbiges Mobiliar aus vierter Hand. Er fühlte etwas in sich selbst nachgeben, wie ein gespanntes Gummiband, das plötzlich reißt.
Bauhaus, Marko, die Schmerzen, der Einbruch, der Ärger – all das interessierte ihn einen Dreck. Cruz sah, vielleicht zum zweiten oder zum dritten Mal in seinem Leben, ein größeres Bild als die Welt, die er üblicherweise durch seine unschuldigen braunen Augen sah.
Wichtig war jetzt, dass er etwas unternahm. Irgendetwas, um Jamaica von diesem Schwein von Bauhaus zu befreien. Irgendetwas, um sicherzugehen, dass Jonathan nichts passierte. Jonathan, den Cruz so gut wie gar nicht kannte, der aber trotzdem etwas für ihn getan hatte. Ein Fremder, der es nicht verdient hatte, dass er Bauhaus’ psychopathischen Dreck in sein Leben gekleistert bekam. Cruz brauchte etwas, um mit Emilio zu Hause zu einem Arrangement zu kommen. An eine Absolution war nicht zu denken – aber bei einem Deal sagt man nicht Nein, ohne ihn sich nicht vorher anzusehen. Schon bevor er zum Obermotz von Miami aufgestiegen war, war Emilio in erster Linie jemand gewesen, der Geschäfte machte. Cruz musste ihm ein Geschäft vorschlagen. Er musste außerdem irgendwie den Geist von Chiquita exorzieren, die immer noch fiel; er musste sie von dem Platz verbannen, den sie in seinem Hirn eingenommen hatte. Er musste dafür sorgen, dass er wieder ein Leben leben konnte, in dem er nicht immer angstvoll über die Schulter blicken musste.
Der Drang, Rosies Notfallnummer anzurufen, stieg in ihm auf und wurde übermächtig. Er übertünchte sogar die höllischen Schmerzen in seinem kaputten Arm.
Urplötzlich fühlte er sich unwohl hier im dritten Stock des Kenilworth. Er gehörte nicht hierhin. Es war zu hoch. Man konnte zu tief fallen.
Er musste sich gar keine Mühe mehr geben, um es jetzt zu hören – das auf- und abschwellende Gejammer des Kenilworth-Geistes, das charakteristische Geräusch des Gebäudes selbst.
Er sah nach, was die Eindringlinge ihm in seiner eigenen Wohnung gelassen hatten. Er fand ein Sweatshirt und verbrachte mehrere Minuten damit, sich vorsichtig hineinzuzwängen und so seiner Wärmeisolierung eine weitere Schicht hinzuzufügen. Dann schlüpfte er wieder in seine Kampfanzugjacke. Er rückte
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