Der Schacht
Emilio hatte da gelacht: Haha, ja, ganz richtig.
Ich mir Sorgen machen? Worüber?
Er hörte jetzt Sirenen auf der Straße, und mit dem Geräusch kam das Ziehen in der Brust. Irgendwann würde er bei diesem Geräusch noch einem Herzinfarkt bekommen.
Sirenen? Vor Bauhaus’ Wohnung?
Der Morgen war bisher eher angenehm verlaufen. In seinem Traum hatte er ihr ins Gesicht geschlagen. Er hatte ihr gedroht, dass er sie ein Jahr lang jagen und sich dann eine Stunde Zeit nehmen würde, um ihr die Kehle durchzuschneiden, wenn sie ihm einen Virus angehängt hätte. Und dann würde er ihr Blut als Gleitmittel benutzen, während sie starb. Das war cool. Das versetzte sie immer in eine Höllenangst.
In dem Traum hatte Emilio dann schlagartig zu Cruz hinübergeblendet und gesehen, wie er vor Angst wimmerte. Er war verletzt, verwirrt, in Panik und blutend. Sein ganzer Körper versuchte davonzulaufen, aber sein Verstand war durch die dumpfe animalische Akzeptanz des bevorstehenden Todes gelähmt. Emilio hatte ihn im Traum dazu gebracht, um Gnade zu bitten. Wirf dich in den Staub, bevor du auf deine letzte Reise gehst, damit dein Abschied von dieser Welt noch schmachvoller wird. Auf deinem Grabstein soll KRIECHER stehen. FEIGLING. WASCH-LAPPEN. ABSCHAUM.
So weit, so gut. Seine Wut war gerecht, heilig. Es stand ein hervorragendes System zur Verfügung, um die Leiche verschwinden zu lassen, das hatte Bauhaus garantiert. Für den Fall, dass Emilio genug übrig lassen sollte, dass man es überhaupt in einem Stück beseitigen musste. Bauhaus – immer der vorausdenkende Gastgeber.
Aber seine Aufwachroutine war so unsanft wie immer. Emilios Herz beschleunigte sich bis zur Alarmlinie, und er erwachte hellwach und bereit, Leute zusammenzuscheißen und den Tagesgeschäften ins Auge zu blicken. Das Geräusch der Polizeisirenen hatte sein internes Alarmsystem ausgelöst. Sein Körper zuckte, und damit ging ein Schwabbeln durch den dicken Ballon, der das Wasserbett darstellte.
Emilio schlief immer nur maximal vier Stunden am Stück. Sein Hausarzt hatte bei ihm ungesunde Schlafgewohnheiten diagnostiziert. Unregelmäßige und zu reichhaltige Mahlzeiten. Drogenmissbrauch und zu viele Aufputschmittel. In der Aufstellung, nach dem er sich hatte durchchecken lassen, wurde das alles unter ungewöhnlicher Lebensstil zusammengefasst. Es gefiel ihm immer, wenn er so diagnostiziert wurde.
Vor langer Zeit hatte er das Rauchen aufgegeben. Einfach so. Als Nächstes musste er seine Schlafgewohnheiten ändern. Egal, wie sehr ihn das Heroin auch aufputschte, er schlief einfach ein, wenn er lange genug in einer Stellung verharrte. Das war der Grund, warum er immer hin und her rannte oder mit den Füßen trommelte. Wenn man ihn dazu zwang, still zu sitzen, dann schlief er ein … aber nur für diese vier Stunden.
Er musste das ändern. Er wollte nicht als junger, wenn auch sehr erfolgreicher Mann enden.
Sein Körper versuchte sich wie immer reflexartig aufzusetzen, aber er schaffte es nicht einmal zu einem Drittel hoch. Zuerst dachte er, er hätte sich einen Nerv geklemmt oder einen Wirbel verrenkt, ein Verrat trotz all seiner medizinischen Untersuchungen.
Dann sah er es, fühlte es.
Emilio war mit den Seidentüchern aus Jamaicas Tasche fest an die Ständer des Wasserbettes gefesselt. Mit Händen und Füßen. Die Knoten waren kein Spiel. Jamaica war nicht mehr im Zimmer. Ihre Jacke war weg.
Emilio begann zu schreien, um die Wette mit den Polizeisirenen, die draußen immer noch heulten.
… das Kilo. Lass das Kilo nicht fallen …
Die Sehnen in Cruz Genick knackten hörbar, als er den Kopf hob. Keine Sirenen. Er hatte gedacht, er hätte Sirenen gehört. Wahrscheinlich Warnsignale aus dem Traumland. Die Realität schlug wieder über ihm zusammen, um ihm erneut seine Verletzungen vorzuführen, und der Schmerz rüttelte ihn wieder wach wie ein Lautstärkeregler, der bis zum Anschlag aufgedreht ist.
Das Kilo, das er zwischen Knie und Brust gepresst hielt, war intakt. Seine Augen sahen, wie es herunterrutschte, als er wach wurde. Es fiel mit dem Geräusch eines Mehlsacks auf den schiefen Boden der Fahrstuhlkabine und spukte eine Wolke weißes Puder aus. Wert ungefähr 8000 Dollar. Und dann meldeten sich Cruz’ Verletzungen zu Wort.
Er geriet nicht in Panik. Er schaufelte sich das Koks in die Hand und schüttete das meiste davon zurück. Einige Reste nahmen dann den Weg zur Hirnzentrale. Dann versuchte er, etwas Spucke zusammenzukriegen, um sich die
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