Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
Vom Netzwerk:
Schrittgeschwindigkeit rollte er auf eine der städtischen Räummaschinen zu, einen breiten flachen Trackmaster auf Ketten, die Art, mit der man die Pisten in der Arktis freischiebt. Die Scheinwerfer und gelben Blinklichter hoben sich scharf gegen das blendende Weiß ab. Er bewegte sich nicht.
    Es hatte gerade mal drei Tage gedauert, bis Camela mit der Frage herausrückte, wie viele Kinder sie denn haben würden. Man musste schon mal vorausplanen. Wie viele Miniatur-Bashs ertrug die Erde? Sie gab sich Mühe, und sie machte wirklich Anstalten, ihre Beziehung zu ihrer beider Zufriedenheit zu gestalten, aber mittlerweile sah Bash, dass es eine deutliche Grenze gab, bis zu der sie sich Mühe geben würde. Auch wenn sie eine deutliche Vorstellung davon haben mochte, wo das alles hinführte – und wie weit ihr erstaunlich gutes Benehmen in den letzten Tagen gegangen war –, so hatte Bash keine Ahnung davon, was noch alles auf ihrem Lebensplan stand.
    Er wurde manipuliert, wenn auch auf angenehme Weise. Aber Bash konnte es nicht ausstehen, wenn man ihm Zügel anlegte.
    Zweifellos würde Jonathan es als Verrat ansehen. Was der arme, einsame Kerl zurzeit brauchte, war ein Freund, und Bash hatte ihr letztes Essen miteinander damit verbracht, sich zu besaufen und Arschgesicht-Müll von sich zu geben.
    Und heute Morgen war Jonathan nicht zur Arbeit erschienen. Er hatte sich das ganze Wochenende über nicht gemeldet. Bash hoffte, dass das nur an der Heftigkeit des Schneesturms lag. Capra hatte allen Angestellten von Rapid O’Graphics einen freien Tag gegeben, und daraufhin hatte man einen gehoben. Bash hatte sich früh verabschiedet, und nun trotzte er dem Sturm, um nach Jonathan zu sehen.
    Er hatte Camela belogen und ihr gesagt, er würde sie wieder bei Capra abholen. Camelas Widerwillen, frischen Schnee auf ihre Dauerwelle zu bekommen, hatte dann den Rest besorgt.
    Es gab befreiende Aspekte dieser Reise, die Bash nicht ignorieren konnte. Eigentlich wollte er Jonathan zu diesem Café an der Weedwine lotsen, um mit ihm bei einem Koffeinschub zu meditieren. Und mit ihm endlich mal auch über die wichtigen Dinge zu reden.
    Der Auspuff des Trackmasters stieß weiße Wolken aus, aber er stand immer noch quer auf der Straße und bewegte sich nicht. Es war unmöglich, daran vorbeizukommen. Auf Bashs linker Seite, da wo er eigentlich geparkte Fahrzeuge und eine Hauswand sehen sollte, war nichts außer kalkiger Farblosigkeit. Weiß war das völlige Nichtvorhandensein von Farbe, hatte er irgendwo gelesen.
    Er zog sich seine Sturmkapuze über, schloss alle Reißverschlüsse so weit wie möglich und stieg aus. Seine Stiefel versanken ungefähr dreißig Zentimeter im Schnee, bis sie Halt fanden. Wie ein Taucher durch brackiges Wasser watschelte er am Heck des Toyotas vorbei und sah das obere Drittel eines Straßenschildes, das aus einem Schneehaufen herausragte. Er schüttelte es, um den Schnee abzukriegen, und sah, dass er einen Block vom Garrison-Street-Eingang des Kenilworth Arms entfernt war.
    Der Trackmaster war unbemannt. Er stemmte sich leer gegen die Wucht des Sturms. Der ganze Winter war schon ziemlich seltsam und verrückt gewesen; einige der städtischen Räumfahrer schoben Dreifach-Schichten und flippten manchmal aus. Einer hatte angefangen, geparkte Wagen in den Lake Michigan zu schieben, damit er sie aus dem Weg hatte. Ein anderer hatte, und das war noch keine Woche her, einen Bürger in seinem Porsche platt gewalzt. Nur noch blutiges Walzblech war übrig geblieben.
    Er setzte den Pick-up zurück, damit er aus der Fahrtlinie des Trackmasters kam, wenn der rückwärts zu einer Amokfahrt ansetzen sollte. Hot Damn Tamale von Velvet Elvis war zur Hälfte auf Bashs CD-Player abgelaufen, und Bash stellte es ab. Er hoffte, dass das Bottomless Cup auch in einem Sturm wie diesem geöffnet war. Er hoffte außerdem, dass seine kaputte Windschutzscheibe dem Sturm nicht nachgab.
    Die Tür zur Garrison Street war verlorene Liebesmüh – sie war verschlossen, vereist und zugeweht. Er schlurfte weiter zur Kenilworth-Tür, bei der er feststellte, dass die Scheibe eingedrückt war. Offenbar hatte ein Windstoß sie in einem falschen Winkel erwischt und zack … Zerbrochene Stalaktiten, die von dem Dachvorsprung gefallen waren, staken aus der Schneewehe wie Vietcong-Minen. Er krümmte sich zusammen und kletterte durch das scharfkantige Loch. Dabei lösten sich große Glasscherben und machten keinerlei Geräusch, als sie im Schnee verschwanden.

Weitere Kostenlose Bücher