Der Schacht
musste er wieder rülpsen.
Irgendetwas am Ende des Korridors antwortete ihm rülpsend, gerade als Cruz mit sich kämpfte, um nicht zu kotzen. In der Rülpsqualität war dies sehr viel anspruchsvoller, ein gedämpfter Kanonendonner, der von den Betonwänden widerhallte. Dem Rülpser folgte ein gequetschtes Lachen, dann das gequälte Atmen mittels einer Herz-Lungen-Maschine.
Cruz bekam einen klaren Kopf und hob die Sig Sauer. Eine Gestalt mit menschlichen Umrissen blockierte das Licht ungefähr drei Meter vor ihm. Das Haar stand weit und zerzaust ab. Der Oberkörper wurde durch eine schwere Bikerjacke angedeutet. Cruz sah den schmalen Schatten eines offenen Klappmessers in der einen behandschuhten Hand.
Er konnte sehen, wie ein Tropfen Flüssigkeit von der Spitze des Messers fiel.
»Ich muss. Gehen.« Die Stimme des Schattenmannes war rostig, krächzend, heiser. Die Worte kamen nur langsam und mit Mühe, sie wurden tonlos dahergesagt, als würde ein fremdsprachiges Phrasenbuch von einem Schwindsüchtigen auf dem Totenbett rezitiert.
Cruz blieb alarmbereit da stehen, wo er war. Nur kein Risiko eingehen. Pistole ist besser als Messer, so wie Stein besser ist als Schere.
Als der Fremde einen schlurfenden Schritt nach vorne tat, zog Cruz den Sicherungsbügel zurück. Er fühlte, dass seine Hand immer noch blutete. Verdammt.
Der nächste Schritt brachte den Fremden ins Licht. Cruz fühlte Eis seine Wirbelsäule hinabgleiten, und Glocken bimmelten in seinem Kopf.
Augen starrten ihn an. Mehr als zwei und an Stellen in den Kopf eingesetzt, wo sie nicht hingehörten.
Die freie Hand des Dings öffnete sich. Aus ihr spross ein Rasiermesser. Cruz erkannte, dass es das Rasiermesser war, das er zuletzt blutverschmiert in der Badewanne von Appartement 107 gesehen hatte. Das Messer in der anderen Hand hatte einen weißen Beingriff. Das Rasiermesser machte ein rutschiges, nasses Geräusch, ein Anzeichen dafür, dass es aus dem Fleisch und nicht aus dem Ärmel kam. Die Schneide glitzerte. Blut tropfte von ihr herunter.
Die Vorderseite der Lederjacke war zerschlitzt und zusammengeknotet. Ein Arm von Babygröße ragte mitten aus dem Chaos heraus und half dabei, alles zusammenzuhalten.
Noch ein Schritt nach vorn. Cruz hob die Waffe.
Jetzt konnte er den zusammengeschusterten Fleischklumpen des Gesichts sehen, ein blutiges, suppiges Etwas aus zu vielen Teilen. Der Schädel schimmerte durch. Das Ding lächelte ihn an.
Zumindest zwei der Augen in dem Gesicht gehörten Jonathan.
27.
Ganz wie die Mumie – langsam aber unaufhaltsam – quälte Bash seinen Toyota Pick-up in Richtung Garrison Street und Kentmore, mitten durch den Sturm. Das Schneegestöber attackierte die Windschutzscheibe und verklebte die Scheibenwischer, ein matschiger Dibbuk, der gesandt war, um seinen Vormarsch aufzuhalten.
Er sollte das hier nicht tun.
Er hatte Schneeketten vorne auf den Reifen, spezielle Winterreifen hinten, und trotzdem kam er nur im Schritttempo voran. Es gab Zeiten, da war das Klima rund um Chicago wirklich zum Kotzen. Definitiv.
Bash war nicht in bester Laune. Normalerweise neigte er nicht zur Nabelschau, aber der hatte er sich jetzt zwei Tage lang hingegeben und hatte zugesehen, wie das Gebäude seiner rosigen Zukunft zu einem Haufen Scheiße zusammengefallen war.
Sein ganzes Leben lang war Bash wirklich gut darin gewesen, Leuten etwas einzureden. Jonathan hatte sich auf Chicago eingelassen, weil er ihn dazu überredet hatte. Und Jonathan hatte ihm all die Sachen geglaubt, die Bash jetzt verraten wollte, einem logischen, nein, wunderbaren Plan folgend, der ihn selbst zu seinem eigenen schlimmsten Albtraum machen würde – zu einem echten Arschgesicht mit einer Gold Card. Und Jonathan hatte ihm nicht links und rechts eine geknallt. Jonathan hatte gesagt, das ginge in Ordnung. Was für ein Scheiß.
Ein weißer Meteor krachte vor die Windschutzscheibe auf der Beifahrerseite, und Bash wurde für seine Hartnäckigkeit mit einem Spinnennetz von Rissen in dem Sicherheitsglas belohnt. Verfluchter Mist. Jetzt bombardierte der Sturm ihn schon mit Geschossen. Er fuhr blind. Es war, als klettere man durch die Wolken auf einen Berggipfel oder als durchpflüge man einen heftigen Regenschauer auf hoher See. Vom Himmel stürzten Lawinen herab, um ihn unter sich zu begraben, während die Windstöße alles taten, um den Wagen umzuwerfen oder ihn gegen eines der schneebedeckten Gebäude oder in eine Schneebank zu treiben.
Mit nicht einmal mehr
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