Der Schacht
Nase freizureiben, die wieder blutete.
Scheiß drauf. Let it bleed, wie es in dem Lied heißt.
Er hatte jetzt schon genug Kokain intus, um komplett abzuschalten, aber er schob das auf seine Schmerzen und den Schlafmangel. Er erinnerte sich daran, dass er, während er bewusstlos war, irgendeinen komischen Albtraum über Emilio gehabt hatte. Das war nicht gerade zu empfehlen. All diese schrecklichen Szenarien in Großaufnahme, die ihm zeigten, wie Emilios Platinklinge irgendjemanden häutete. Freigegeben ab achtzehn wegen exzessiver Gewaltdarstellungen. Noch vor wenigen Jahren hätte man Cruz nicht einmal ohne die Begleitung eines Erwachsenen hineingelassen.
Kenilworths Höllenaufzug war jetzt völlig durchgedreht. Trübes Licht strömte hinein. Nach Cruz’ Berechnungen musste es aus einem der Kellerflure kommen. Der psychedelische Spalt mit dem 45-Grad-Winkel, den Cruz hatte erweitern wollen, indem er in der Kabine hoch- und runtergesprungen war, war jetzt groß genug, um sich hindurchzuzwängen. Hier gab es keine Fahrstuhltüren, nur ein gezacktes Loch im Betonfundament. Er sah einen nassen Korridor. Pfützen reflektierten das grünliche Licht. Die Lampe im Fahrstuhl flimmerte zwar, aber sie funktionierte noch.
Der Fahrstuhl war abgestürzt. Das war die Erklärung.
Oder vielleicht war das hier eine weitere geheime Etage, diesmal sogar noch größer. Vielleicht waren das hier die Tunnel, in denen Fergus, der Hausmeister, seinen Trollaktivitäten nachging und kleine Kinder fraß.
Die Zeit. Saß Jamaica schon über ihren zweiten oder dritten Tasse Kaffee im Bottomless Cup und wurde ungeduldig?
Nur noch ein bisschen Antriebsenergie, bevor er die Ladung versteckte. Er schniefte Kokain gemischt mit seinem eigenen Blut. Wenigstens kam es feucht an.
Er versuchte, mit seinem ungeschienten Arm die Balance zu halten, nachdem er das Kilo wieder eingepackt hatte. Als er die Handfläche öffnete, platzte der Schnitt wieder auf, und neues Blut kam zum Vorschein. Er konnte eine Faust machen, aber er vermochte nicht, die Hand gerade auszustrecken. Zum Schießen reichte das. Er zwängte sich heraus und rutschte sofort auf dem glitschigen Steinboden aus. Er lag jetzt auf der rechten Seite, und das verwirrte ihn. Seine Profilsohlen halfen ihm, nicht wieder umzufallen, und er stützte sich an der nächsten Wand ab.
Das war kein Wasser auf dem Boden. Eher etwas wie die gerinnende Scheiße, die er in dem Appartement des Alten gesehen hatte. Oder wie das Zeug, das das Babymonster ausgeschwitzt hatte … bei dem er sich nicht so sicher war, ob er es wirklich mit eigenen Augen gesehen hatte. Nicht mehr. Wahrscheinlich waren das nur die Drogen gewesen.
Jaaaah. Waren Drogen nicht genau dafür da? Um einem den Kopf zu verdrehen und eine offizielle Ausrede dafür zu liefern, dass man sich plötzlich für ein Haar am Arsch des Papstes hielt? Es gab die Drogen, damit man alles auf sie schieben konnte. Ich habe WAS getan? Na, da muss ich aber ziemlich weggetreten gewesen sein.
Er beschloss, sich mit der Hand an der Wand abzustützen, damit er nicht umfiel, und kam so mit gesenktem Kopf voran. Das komische Schimmern erinnerte ihn an einen schlechten Fisch, den er mal bei einem Händler am Pomano Beach gekauft hatte, einem sonnengebräunten Kerl mit einem kleinen Tischgrill, der gekochten Fisch in kleinen Plastiktassen verkaufte. Hatte gut geschmeckt, aber als Cruz mit der Tasse in ein Badezimmer gegangen war, hatte er bemerkt, dass der Fisch wie ein Schwarzlichtposter funktionierte. Er hatte genauer hingesehen, und der Fisch hatte einen schwachen bläulichen Glanz ausgestrahlt. Zwei Stunden später hatte er bröckligen weißen Schaum gekotzt. Er hasste es, sich zu übergeben, er hatte es auch nicht mehr getan bis zu seinem Flug nach Chicago. Man verlor jede Kontrolle über sich selbst, man verlor sein Essen, man fühlte sich, als wäre man richtig durchgeprügelt worden, und dann musste man auch noch den Geschmack der eigenen Magensäure ertragen, den man stundenlang nicht wieder loswurde. Toll.
Die schwache Illumination war genauso wie Cruz’ geheimnisvoller Fisch, nur grün. Aber sie brachte all die unangenehmen Assoziationen wieder hoch. Er rülpste und schmeckte Magensäure. Er hatte keinen Hunger – das lag wieder am Weißen Staub, der jeden Appetit auslöschte –, aber er wusste, dass er sich besser bald etwas zu Essen hineinschaufeln sollte, vielleicht in dem Laden, in dem er Jamaica treffen wollte. Bei dem Gedanken an Nahrung
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