Der Schacht
Die Eingangshalle war eine Wüstenei mit Temperaturen unter null. Fußspuren führten hindurch und hinterließen halb gefrorenen Schneematsch. Wie konnten die Bewohner so etwas ertragen? Das war nicht etwas, wo man ein Handtuch in einen Türspalt stopfen und es dann ignorieren konnte. Er schob sich durch die Korridortür und hielt auf die Treppen zu. Die Hände verbarg er tief in seinen Manteltaschen. Der Schnee fiel von ihm ab wie bei der übertriebensten Head & Shoulders -Werbung der Welt.
Vielleicht war Bashs Appetit wieder durch Jonathans wilde Geschichte von Verhaftungen, Prostituierten und TV-Drama-Gefahren angeregt worden. Leute mit einem normalen, sicheren Arschgesicht-Leben erlebten nie so etwas Aufregendes. Man musste das Leben bis zur Neige genießen … und manchmal war der Geschmack eben eklig. Es war besser, sich zu verlieben und an gebrochenem Herzen zu leiden, als es nie zu erleben. Manchmal verlangte der eklige Geschmack nach mentalem Mundwasser. Manchmal veränderte er die Art, wie man Dinge anging, für immer.
Bash hasste es, wenn er das Schaben und Kratzen mitbekam, mit dem sein Charakter seine Form änderte. Seine Ausrede, um an diesen angenehm höllischen Tag hier herauszukommen, bestand darin, dass er die Angelegenheit mit Jonathan besprechen musste, um zu sehen, ob seine Argumente immer noch hielten. Was er tatsächlich wollte, war, dass Jonathan sie ihm ausredete, ihn davon überzeugte, sich einfach nach Vegas abzusetzen, Schmuggler oder Astronaut oder sonst was zu werden …
Die äußere Tür zu Nr. 207 öffnete sich von selbst, als Bash anklopfte. Sie war nicht verschlossen, und er trat ein. Die zweite Tür war ebenfalls offen.
»Jonathan?«
Im Innern bewegte sich etwas. Schwere Schritte, die auf die Tür zukamen, gerade als Bash sie mit seinen behandschuhten Fingern aufstieß. Dann wurde ihm die Tür aus der Hand und weit aufgerissen.
»Kein Mucks!«
Das war nicht Jonathan. Das war jemand, der genauso groß war wie Bash, aber breitere Schultern hatte. Und der eine großkalibrige Automatik in der Hand hielt, die auf Bashs Augenbraue zielte.
»Beweg deinen Arsch hier rein. Sofort. Und wenn du nur einen Ton von dir gibst, dann baller ich dir die Zähne durchs Toupet. Rein jetzt!«
Bash war erleichtert, dass er Jonathans durchlöcherte Leiche nicht auf dem Fußboden liegen sah.
Der große Kerl schloss und verriegelte die Innentür. Bash schluckte heftig. Jonathans Sachen waren aus den Kisten gekippt und verstreut.
Bash fragte sich, wie viele Kugeln er schlucken konnte, bevor sein Körper unter ihm wegstarb.
»Zurück an die Wand und dann runter in eine sitzende Position. Sofort.« Die Pistole wies die Richtung.
Bash tat wie ihm geheißen.
In weniger als vierzig Sekunden würde er mit diesem Eindringling um sein Leben ringen.
Die beste Entsprechung, die Jamaica einfiel, war ein Wecker. Einer von den alten Messingweckern mit einem runden Zifferblatt. Die Art, wie sie Terroristen in Actionfilmen verwenden, um ihre selbst gebastelten Bomben zu zünden. Die Uhr tickte. Die Explosion stand kurz bevor, und die Zeit lief. Ihr Leben war eine Zeitbombe.
Noch ein abgestrichenes Feld auf dem Kalender, der ihre verbleibende Zeit anzeigte. Ein wüster Schneesturm und noch ein gestohlener Wagen. Ein neuer erfolgreicher Tag.
Sie ließ Bauhaus’ kirschrote Corvette auf die Standspur rollen und schaltete die Warnblinkanlage an. Ihre Zähne klapperten trotz der künstlichen Hitze, die ihr die Beine hochstieg. Die Tankanzeige zeigte viertel voll. Wie lange noch, bis auch ihr Treibstoff verbraucht war? Wie viele von diesen Auswegen in letzter Minute konnte sie noch verkraften, bevor ihr der Dampf aus den Ohren herauskam?
Sie kam in halbmeterhohem frischen Schnee zum Halten und schaltete die Automatik auf Parken. Blinklichter kamen und gingen in dem Schneegestöber. Hochliegende Lichter bedeuteten Räumfahrzeuge und Traktoren. Niedrige Lichter bedeuteten andere Opfer. So wie sie. Vielleicht auch die Männer des Gesetzes. Jamaica konnte den Begriff nicht ausstehen: Männer des Gesetzes.
Da sie nicht weiterkam, hatte sie Zeit, das Handschuhfach zu durchstöbern. Unter einem unordentlichen CD-Stapel und einer Dose mit trockenem Cannabis fand sie den eingedellten Flachmann. Ihre Finger fuhren über die Gravur, und ihre Nase verriet ihr, dass es sich um hochprozentigen Bourbon handelte.
Unter der Flasche fand sie einen Revolver. Das war’s doch, was sie jetzt brauchte – noch eine Kanone.
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