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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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Schreck. Er hatte die Pistole ganz vergessen, die in der Tasche seines olivfarbenen Mantels steckte. Er saß buchstäblich auf ihr.
    »Halt, warte. Als Nächstes wirst du mich fragen, warum wir die Bullen nicht alarmieren können. Und ich werde dann sagen, dass nicht zuletzt diese Kanone ein Grund dafür ist, warum du und ich auf ein Frage-und-Antwort-Spiel mit der Polizei verzichten sollten – denn wenn sie erst einmal anfangen, alle die Fragen zu stellen, die sie stellen wollen, dann bekommt keiner von uns beiden noch ein Wort dazwischen.«
    »Ich wollte eigentlich nach Jonathan fragen. Vorher.« Das Sprechen war schmerzhaft, aber die Kapseln, die sie ihm gegeben hatte, halfen. »Aber du hast recht.«
    Ihre Mine verdunkelte sich. »Jonathan.« Mit einem langen Seufzer strömten auch der Schmerz und die Trauer aus ihr heraus. »Jonathan, mein armer Jonathan.«
    Sie brauchte eine Stunde, um den Rest der Geschichte herauszubringen. Selbst wenn die Pillen nicht geholfen hätten, dann würde das, was sie ihm erzählte, ausgereicht haben, damit Bash seine eigenen Schmerzen vergaß.
     
    Das Kenilworth Arms benutzt das, was es weiß.
    Es konzentriert sich darauf, sich selbst zu erhalten, wenn es sich daran erinnern kann, was es eigentlich ist. Es nimmt die menschlichen Dramen nicht wahr, die sich innerhalb seines alternden Körpers abspielen. Die amnesischen Perioden werden mittlerweile immer länger.
    So viele Kleinigkeiten hat es schon vergessen. Oder erinnert sich falsch an sie.
    Blut ist hier immer schon geflossen.
    In den Räumen und Zimmern und Fluren ist immer schon Blut vergossen worden, aber nie in Mengen, die mehr sind als ein abbaubares Gift für einem gesunden Metabolismus. Alte Gebäude können fast jede Abnormität ausgleichen. Sie überstehen momentane Krisen. Die vergangene Zeit scheuert die Flure, vergilbt die bunte Farbe, bringt Türen ins Lot, sodass sie sich entweder vernünftig schließen lassen oder dauerhaft klemmen. Die Wände verarbeiten die animalischen Gerüche von Müll und Pisse in den Ecken. Was heute noch eine rote Lache ist, die für immer einen Fleck auf den Holzbohlen hinterlässt, ist in einem Jahr oder zwei eine Bagatelle, an die sich niemand mehr erinnert und die auch keinen Geruch mehr hat.
    Das Kenilworth Arms altert und erhält sich selbst. Seine Bewohner haben ja keine Ahnung, dass ihre Verzweiflung ein Protein ist, das das Gebäude braucht, um sich zu erhalten.
    In letzter Zeit ist mehr Blut in die Wände und die Teppichläufer geflossen. Die Dosis ist hoch genug, damit auch das ganze Haus die Macht des Blutes am eigenen Leib erfährt und von ihr mitgerissen wird.
    All dies ist dem Bandwurm zu verdanken. Der Bandwurm hat das Haus in den Opiumrausch des Blutes eingeführt. Die Kränklichkeit und die Senilität sind vorbei. Das Gefühl ist erhebend. Erstrebenswert.
    Die Taubheit hatte es seit langer Zeit beherrscht, obwohl die Zeit keine Rolle spielt. Das Kenilworth hat Dinge vergessen. Wenn es sich erinnern kann, dann repariert es die zerfallenden Wände wieder – es erinnert sich wieder an die korrekten Teile seiner Identität.
    Es erinnert sich an Räume. Um in allen Teilen vollständig zu sein, erinnert es sich bisweilen auch an Bewohner. Manchmal erinnert es sich auch falsch.
    Hin und wieder erinnert es sich an eine Hälfte von einem Teil und an einen Teil eines anderen und stellt dann eine funktionierende Verbindung her. Es spielt dabei keine Rolle, dass einige der Bewohner schon vor langer Zeit ausgezogen oder tot sind.
    Das Gebäude nimmt das, was es weiß.
    Oder von dem es glaubt, es zu wissen.
    Solche Bemühungen haben manchmal dem Bandwurm geholfen. Und der hat dann augenblicklich für mehr von dem guten, berauschenden Blut gesorgt. Die Tapeten haben es aufgesaugt, die Risse im Zement es eingesogen, die Paneele und Fußböden und Türschwellen haben sich damit betrunken.
    So wie jemand mit Alzheimer eine klare Phase haben kann und sich mit Drogen zuschüttet, um der kommenden Agonie des Vergessens zu entgehen, so will auch das Kenilworth jetzt mehr von diesem Stoff der es so wundervoll sorglos sein lässt. Die Dinge, an die sich das Gebäude erinnert, können dem Bandwurm helfen, mehr zu besorgen.
    Und das tut er auch.
    Jetzt hat der Bandwurm das Blut mit einem neuen Stimulans versehen. Wenn der mit dem Blut vermischt ist, ist das Gefühl vervielfacht. Das Gebäude will sogar noch mehr und hilft so dem Bandwurm, sich zu nähren.
    Das ist nichts, was sich mit

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