Der Schacht
Feindlichkeit zurückgeworfen, die einem die Nackenhaare zu Berge stehen ließ. So als ob die Leute es hier verabscheuten, überhaupt bemerkt zu werden. Jonathan traf zu oft in zu kurzer Zeit auf diesen Blick. Er fühlte sich, als seien alle Augen in diesem höhlenartigen Raum auf ihn gerichtet, den Fremden, den Außenseiter, den Herbeigelaufenen mit seinen neuen Stiefeln und dem sauber rasierten Gesicht. Sie starrten ihn starr an, und er hielt der Prüfung nicht stand.
»Scheiß auf diese Arschlöcher«, sagte Bash. »Die Hälfte von ihnen ist morgen früh tot.« Der Mann aus dem Waschraum schlurfte hinter ihnen her. »Habe ich nicht recht, Wichser?«
»Mei’ Geld steckt in dat Scheiß-Telefon«, murmelte der Penner und schwenkte zu den Münzfernsprechern ab.
Für Jonathan sah das so aus, als hätte Bashs bloße Anwesenheit den Penner physisch abgeschreckt. Er starrte immer noch zwanghaft die Füße des Typen an, die erfroren waren, unwiederbringlich hinüber. Wenn jemand Jonanthan jetzt um Kleingeld angegangen wäre, hätte er nur dagestanden und blöde geguckt. Toll. Er war am Ende. Seine Batterien waren erschöpft. Sollte Bash sich eine Zeit lang um ihn kümmern.
Jonathan schüttelte seinen Kopf. Das half ihm aber auch nicht in seinem Bemühen, einen klaren Gedanken zu fassen. Er hatte den leeren und abwesenden Gesichtsausdruck von jemandem, der gerade unsanft aus dem Schlaf geweckt worden ist. »Hallo«, sagte er.
»Hallo selbst«, gab Bash zurück. »Willkommen in der Hölle. Gestatten, Charon. Hier gehts zur Fähre.«
Er ging voran zu einem Toyota Pick-up mit Allradantrieb und Schneeketten.
Bash. Warum Bash? Das passte so gut zu Jeffreys Charakter, dass es keiner weiteren Erklärung bedurfte. Bash. Das hörte sich wirklich so an, wie der Mann war. Jeder, den Jonathan je gekannt hatte, hatte irgendwann einmal einen Spitznamen bekommen – bis auf ihn selbst natürlich. Amanda war dann »Leckerchen« oder »grünäugige Schönheit« oder »die Unwiderstehliche«, je nachdem, wie sexy das Telefongeplauder sein sollte.
Während er sich durch seine Wahlfächer Klassische Philosophie und Anthropologie an der Universität von Louisiana quälte, hing Jonathan immer in Grizzlys Taverne herum, um sich mit Bash und Stretch und Fungo und Mad Max das Bier hinter die Binde zu kippen … aber er selbst war immer nur Jonathan gewesen. In der Grundschule war er Jonathan plus der Anfangsbuchstabe des zweiten Vornamens, um ihn von den ganzen anderen Johns in der Klasse zu unterscheiden. Er gehörte mit in diese Plage von Mikes und Jeffs und Cathys und Debbies, all diesen langweiligen Namen aus den ach-sotollen Sechzigern: Wahrscheinlich hatte er sogar noch Glück gehabt, dass man ihn nicht Glyph oder Rainbeaux oder Sativus genannt hatte. Sein wirklicher Nachname war genauso unsagbar gewöhnlich.
Nur Jonathan. Ja du, Armleuchter. Du bist gemeint.
Er war mittlerweile der Meinung, dass jeder einen anderen Namen hatte, ein anderes Gesicht besaß. Manchmal erhaschte man einen kurzen Blick auf die andere Seite eines Menschen, von dem man gedacht hatte, man würde ihn in- und auswendig kennen. Manchmal wünschte man dann, man hätte diesen Blick nicht getan. Manche Leute verbrachten ein Leben miteinander und sahen nie die unangenehmeren Aspekte derjenigen, die ihnen am nächsten standen.
Bash redete über Bier und malträtierte dabei heftig den Schaltknüppel des Wagens. Wann immer sie zu schliddern begannen oder das Heck auf dem Matsch wegrutschte, korrigierte er rüde. Jonathan klammerte sich an seinen Sitz.
»… wie du sagen würdest, interessante kleine Brauereien in der Nähe der Stadt. Das ist der einzige Hauch von Provinzialismus in dieser Stadt, der mir wirklich zusagt. Das einheimische Bier. Ich kann es gar nicht abwarten, bis ich dir Quietly vorstellen kann.«
»Eine neue Freundin?«
»Nein. Quietly-Bier.« Bash war ein guter Komödiant, er wartete, bis der Witz gezündet hatte.
»Quietly-Bier.« Jonathan konnte es nicht verhindern, dass sich sein Gesicht zu einem echten Lächeln verzog. Es fühlte sich ungewohnt an. Es tat fast weh. »Quietly Bier – wie ›Ruhe sanft‹?«
»Grotesk, oder?« Bash grinste wie ein Talkshow-Komiker. »Du hast doch nicht etwa Jesus in dein Herz geschlossen oder so was Dämliches, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, oder?«
»Nein, ich mag gutes Bier immer noch.«
Im Gegensatz zu Wein, den Jonathan mittlerweile nicht mehr ausstehen konnte. Er hatte die letzten Jahre
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