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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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seiner Adoleszenz damit zugebracht, sorgfältig einen Geschmack für die wichtigsten Weinsorten zu kultivieren. Er genoss es, zu wissen, welchen Wein er in einem Restaurant bestellen musste, wenn seine erste Wahl nicht zur Hand war. Aber jetzt nicht mehr. Er trank keinen Wein mehr, weil …
    »Ich werde dich mit allen Aspekten von Quietly-Bier bekannt machen«, sagte Bash. »Du wirst lachen, bis du dich vor Lachen bepisst.«
    Jonathan nickte. Das Lächeln setzte sich auf seinem Gesicht fest wie abbindender Zement. Der glatte, einschmeichelnde Unterton seiner Erinnerungen zog ihn zu sich herab und versuchte, ihn erneut unter sich zu begraben. Er hatte ihm auf der Busfahrt die Tränen in die Augen getrieben und schnürte ihm auch jetzt die Kehle zu.
    Jonathan trank keinen Wein mehr, weil …
     
    Es war eines ihrer letzter Höllenmahle, und es lief schlecht. Zu viele quälende Schweigeminuten.
    Jonathan hatte immer verkündet, man könne verheiratete Ehepaare in Restaurants immer sofort erkennen. Das waren diejenigen, die nicht miteinander redeten, die ihren Tellern mehr Aufmerksamkeit zuwandten als ihrem Gegenüber. Das Gleiche galt für feste Beziehungen – für die, die ungebremst auf den engen Käfig verkorkster zwischenmenschlicher Beziehungen zusteuerten.
    Dieses verdammte Essen wird mich fünfzig Dollar kosten, Trinkgeld nicht eingerechnet, dachte Jonathan, und Amanda benimmt sich wie eine verzogene Göre. Sie ist so richtig schlecht drauf. Und keiner kann das Essen würdigen.
    Heute Nacht spulte Amanda wieder mal das komplette Programm ab: Sie wurde alt. Sie wurde fett. War das nicht offensichtlich? Sie verdiente nicht genug. Jonathan kümmerte es nicht, dass ihr Job bei der Hypothekenfinanzierung nicht genug einbrachte und es auch nie tun würde. Jonathan war alles egal, was nicht Jonathan selbst war. Sie hatte nie jemandem wirklich etwas bedeutet, sie war ganz auf sich allein gestellt. Und sie würde auch nie jemandem wirklich etwas bedeuten. Sie war schon fast dreißig, und sie hatte immer noch keine Kinder. Wenn das Jonathan in irgendeiner Weise kümmern würde, dann hätte er schon längst etwas unternommen. Sie hasste ihr ganzes verdammtes Leben.
    Und, ja natürlich: Jonathan interessierte das alles ja nicht. Oder tat es das etwa?
    An diesem Punkt wurde eigentlich von ihm erwartet, dass er protestierte, dass … doch, es kümmerte ihn. Es kümmerte ihn sogar sehr. So sehr, dass es ihm das Essen verdorben hatte.
    Aber sie ließ ihn gar nicht ausreden. Es war ja offensichtlich, dass es ihn nicht interessierte, und außerdem, sie hatte in letzter Zeit häufig über Selbstmord nachgedacht.
    Was dabei immer unausgesprochen blieb, war ihre Anschuldigung, dass sie ein Kreuz zu tragen hatte, das sie verabscheute, und dass Jonathan derjenige war, der die Nägel einschlug. Amanda hasste es, die Verantwortung für etwas zu übernehmen, inklusive ihres eigenen Lebens.
    Er wusste, was als Nächstes kommen musste.
    »Du willst dir das alles gar nicht anhören, Jonathan. Warum sagst du mir nicht einfach, dass ich gehen soll?«
    Es war zu gottverdammt einfach. Das war genau das, was sie wollte. Wenn sie ihn erst so weit hatte, dass er diese Worte sagte, dann konnte man ihm die Schuld geben, dann hatte er die Beziehung beendet. Noch ein Sargnagel. Amandas Sichtweise einer feindlichen und zerstörerischen Welt, die darauf aus war, sie zu zermalmen, wäre dann noch ein wenig mehr bestärkt, und mit solchen Mitteln konnte sie sogar jemanden, der so geduldig war wie Jonathan, zur Weißglut treiben.
    Amanda war jemand, der immer wieder verkündete, sich das Rauchen abzugewöhnen, jemand, der immer mit den Knöcheln knacken musste. Sie knibbelte immer an Wundkrusten herum, bis sie wieder bluteten.
    Jonathan gab ihr nie die Genugtuung, leicht in Rage zu geraten. Sich von ihr provozieren zu lassen würde keines ihrer Probleme lösen. Das sagte er ihr auch.
    »Oh toll! Du willst damit also sagen, dass ich froh wäre, wenn ich jemanden so weit bringen könnte, dass er sich von mir trennt. Eine nette Meinung hast du von mir.«
    Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Es war, als wolle man einen Computer aus Ektoplasma zusammenbauen. So gottverdammt frustrierend.
    Nein, sagte er ihr. Aber es schien nun einmal so, als sei sie nur dann zufrieden, wenn ihr Leben so trostlos war, wie sie sich unbedingt einreden wollte, dass es das war. Sie pflegte ihren Zustand der Unzufriedenheit, weil das bekanntes Terrain für sie war, und

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