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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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Klasse erlaubte, vor dem ganzen Plebs das Flugzeug zu besteigen, direkt nach den Siechen und den Kleinkindern. Die normalen Passagiere (die auf den billigen Plätzen) mussten so zusehen, wie er in seinem Sitz mit dem Extra an Beinfreiheit saß und bei der Stewardess seine Getränkebestellung aufgab, während sie immer noch drängelten und fluchten und versuchten, sich und ihre Habseligkeiten zu verstauen. Tawny, die Stewardess für die erste Klasse, hatte Beine, die Männer mit schwachen Herzen direkt in den Kreislaufkollaps treiben konnten. Ihr Rock schien kürzer als der der Stewardessen in der Business-Class. Tawny lächelte immer – bei jedem Managerwitz, jedem angedeuteten Flirt, jeder trivialen Bemerkung. Ihre Zähne waren so perfekt, dass man schon genau hinsehen musste, um die Linien zu sehen, die sie voneinander trennten. Hier im vorderen Teil der Maschine gab es Leinenservietten und Gläser statt Papierservietten und Plastikbecher. Tawny schenkte den von Cruz bestellten Cuernacava immer wieder unaufgefordert nach. Er kam nie bis auf den Grund. Dementsprechend musste er dann feststellen, dass er ziemlich betrunken war, als er sich rasierte, wie Rosie ihm geraten hatte.
    Der Jet vollführte einen Breakdance durch die Turbulenzen auf dem Weg in kältere Klimazonen. Der Alkohol, den Cruz in sich hineingeschüttet hatte, prallte voll auf den Adrenalinrückschlag, den Chiquitas schwanenhafter Abgang ausgelöst hatte. Er schnitt sich mit der Sicherheitsklinge in die Oberlippe. Beim Anblick des Blutes in der stinkenden chemischen Toilette der 737 spielte sein Metabolismus endgültig nicht mehr mit, und er verbrachte die nächsten fünfzehn Minuten damit, in die unendlichen Tiefen einer Flugzeugtoilette zu kotzen. Der Gestank des blauen Toilettensteins ließ ihn immer noch würgen, nachdem sich sein Magen schon völlig entleert hatte. Mit zitternden Händen schob er sich zwei mittelgroße Linien aus der Koksampulle zu Stabilisierungszwecken zurecht, und dann fragte er Tawny, ob sie irgendwo ein Pflaster auftreiben konnte.
    Natürlich konnte sie das. Sofort. Und mit einem Lächeln.
    Cruz genetische Ausstattung war nicht auf Körperbehaarung ausgelegt. Seine Brust war so unbehaart wie die des durchschnittlichen Japaners. Sein Schnurrbart war einer der größten Triumphe seiner späten Reifezeit gewesen, auch wenn er es gar nicht erst versucht hatte, ihn dazu zu zwingen, noch ehrgeiziger zu werden und eventuell sogar bis zu seinem Kinn herunterzuwachsen, um vielleicht einmal den Grundstock für einen Vollbart zu bilden. Er war schon stolz auf das gewesen, was ihm gewachsen war.
    Das war jetzt weg, kahl geschlagen statt gehegt. Ein kleines Etwas, das zu einem Nichts geschrumpft war. Noch ein Scheck, der auf das Konto von Cruz Stolz gezogen war, auf Emilios Namen ausgestellt und bei Verlangen einzulösen.
    Er spülte sich ab und ließ Wasser über sein Gesicht rinnen. Er war immer noch bleich und zitterte. Der Spiegel log nicht: Du hast die Gesichtsfarbe eines Geistes, der unter Entzug leidet. Er klebte sich das Pflaster auf die Oberlippe, seine Unterlippe schmerzte immer noch, weil er auf sie gebissen hatte, als Rosie ihn geschlagen hatte. Er war da zu bedröhnt gewesen, um wirklichen Schmerz zu fühlen. Jetzt war das leider anders.
    Er ließ sich auf den offenen Toilettensitz fallen und rieb sich heftig das Gesicht, um die Blutzirkulation wieder anzuregen und etwas Farbe zurückzubekommen. Es war schon erstaunlich, wie sein ganzes verficktes Leben sich so schnell in Luft auflösen konnte. Wenn Emilio irgendwann einen Verdacht schöpfte, dann war sein Leben nicht einmal mehr den Socken am Fuß eines Penners wert.
    Würde Emilio kapieren, warum Cruz sich aus der Stadt fortgemacht hatte? Nein, Rosie hatte gesagt, er würde sich darum kümmern.
    Cruz sehnte sich danach, einfach den Rückspulknopf für den ganzen Tag zu bedienen … Gehe einfach zurück und ändere die Geschichte so, dass alles genau gleich abläuft … mit dem einen Unterschied, dass darin diese blöde Fotze Chiquita am Leben und er in Miami bleibt statt mitten in der Luft, irgendwo über Tennessee.
    Sein Hawaiihemd war mit Erbrochenem beschmiert. Er knüllte es zusammen und ließ es auf dem winzigen rostfreien Tischchen liegen. Nachdem er sich die Achselhöhlen abgewischt und Deo aufgetragen hatte, schlängelte er sich in ein rosa Miami-Vice-T-Shirt, das er im Souvenirladen auf dem Flugplatz gekauft hatte. Es war so neu, dass es noch knisterte. Es ist

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