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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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zur Erde graduell alle Schattierungen von Weiß über Grau bis zu einem matschigen Schwarz. Der Wind zerrte an ihm, böig und eisig kalt. Er rüttelte an den schweren Gleittüren in ihren Schienen. Lose Schneeflocken lösten sich von den Schneewällen und wirbelten durch die Luft, Körner von Albinosand. Die Wettervorhersage an Bord hatte jeden darüber informiert, dass die Temperaturen bei minus zwanzig Grad lagen und tiefer sinken würden.
    Cruz’ erster Atemzug war wie eine eiskalte Dusche. Als er ganz draußen war und die Kälte sich durch sein Sweatshirt bohrte, holte er noch einmal tief Luft. Die Härchen in seiner Nase froren fest. Sie tauten wieder, als er ausatmete. Und damit waren sie dann feucht und froren bei seinem nächsten Atemzug umso schneller wieder an.
    Er hatte schon vorher seinen Atem kondensieren sehen. Die beiden Dampfwölkchen, die aus seinen Nasenlöchern aufstiegen, sahen aus wie der Dampf einer Lokomotive. Das war seltsam und ein bisschen erregend. Er lehnte sich an eine Mülltonne, um den Verkehr in der weißen Zone zu überblicken. Die Oberflächentemperatur der Tonne war wie auf dem Mond, und sie zu berühren erzeugte das gleiche Gefühl, als ob man seine Hand in flüssigen Sauerstoff hielte.
    Cruz fing gerade an, sich so richtig verloren und einsam zu fühlen, als eine piekfeine 1971er Corvette durch den Matsch pflügte und auf dem Wendeplatz zum Stehen kam. Wassertropfen perlten von ihr ab, und die wehenden Abgase hatten die gleiche Farbe und Konsistenz wie Cruz’ Atem.
    Die Hupe quäkte zweimal, drängend. Cruz beugte sich herunter und sah sein eigenes Gesicht, das ihm aus verspiegeltem Glas entgegenblickte. Dann surrte das Beifahrerfenster herunter, und er bekam seinen ersten Eindruck von Rosies Chi-Kumpel, Bauhaus.

4.
    »Na sieh mal an, was da reinschnein kann. Jesus H. in ’nem Motor-Van.«
    Reisemüdigkeit hinderte Jonathan daran, sich schnell genug umzudrehen; sein Rückgrat war in die berüchtigten Greyhound-S-Sitze eingeklemmt. Sein Griff auf den Rucksack lockerte sich. Er entspannte sich ein wenig, so wie der Revolverheld, kurz bevor er herumwirbelt und zieht. Aber heute Nacht war nicht die Zeit für Schießereien. Er kannte die Stimme zu gut.
    »Na, wenn ich mir das genauer angucke, dann war Jesus Christus besser genährt … und hässlicher.« Körperwärme und ein gewaltiger Schatten verdrängten die kalte Luft, die durch die Automatiktüren des Busbahnhofes auf Jonathan zuströmte.
    »Soll das heißen, dass man keine Filme über mein Leben drehen wird?«
    Jonathan ließ ein Lächeln aufscheinen.
    »Getrennt durch die Liebe! Freigegeben ab sechzehn!« Pranken legten sich auf Jonathans Schultern und massierten sie leicht. »Ich bestelle schon mal zwei Tickets vor.«
    Jeffrey Holdsworth Chalmers Tessier wirbelte Jonathan herum, der hilflos wie eine Marionette in der Umklammerung des größeren Mannes war, und umschlang ihn in einer gewaltigen Bärenumarmung mit viel Macho-Getue, Rückenklopfen und unzusammenhängendem Willkommensgrunzen. Jonathan sah, wie sich die braunen Schäferhundaugen weiteten, um das Bild eines Freundes aufzusaugen, der zu lange fort gewesen war. Jeffreys Pferdegrinsen war definitiv ansteckend.
    »Guter Bash«, sagte Jonathan. Er fühlte sich verrückterweise wie zu Hause, während er Bash hier in der Ankunftshalle umarmte.
    Bash schnappte sich den Rest von Jonathans Gepäck, eine randvoll gestopfte olivgrüne Tragetasche mit roten Lederhaltern. Bash hatte schon immer breite Schultern und kräftige Arme gehabt, doch jetzt trug er einen dunkelgrünen Mantel, der seine Gestalt noch massiger wirken ließ. Unter dem weiten, kuttenartigen Saum sah Jonathan verblichene schwarze Jeans und angestoßene Bergsteigerstiefel mit leuchtend grünen Schnürsenkeln.
    »Na los, alter Knabe – wenn du hier noch länger in dieser Pennerbude herumhängst, dann fange ich an, Mitleid zu haben. Ich geb dir dann ein bisschen Kleingeld.«
    Als ob das sein Stichwort gewesen sei, zuckte Jonathan zusammen und blickte sich um. Anscheinend fiel ihm erst jetzt auf, wo er war. Hinter ihnen wankte ein Neger in einer zerrissenen Armeejacke aus dem Waschraum. Er war barfuß. Die Sohlen seiner Füße waren aschgrau und sahen erfroren aus. Aus der Toilette drangen würgende Geräusche, die von der Akustik der Fliesen noch verstärkt wurden. Dann zog sich die Tür von selbst zu und die Geräusche erstarben.
    Wo er in der Halle auch hinblickte, wurde ihm der Blick mit einer urbanen

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