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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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anscheinend unmöglich, auf einem Flugplatz Klamotten zu kaufen, die nicht mit Sprüchen oder Werbung bedruckt sind. Er hatte ein Sweatshirt mit der Aufschrift DAS LEBEN IST SCHEISSE, UND DANN BIST DU TOT gekauft. Er drehte es auf links, sodass die weißen Säume zum Vorschein kamen, und zog es so an. Er dachte an Boris Karloffs Schaffell-Gewand in Frankensteins Sohn. Könnte zu einer Mode werden.
    Er stopfte sein Hawaiihemd in die blaue Nylonsporttasche, die er gekauft hatte. Sie trug die Aufschrift NIKE TEAM in billigem Seidenimitat. Er wollte das Hemd nicht wegwerfen; er entwickelte ihm gegenüber plötzlich unerwartete sentimentale Gefühle. Vielleicht konnte er es behalten und aufbewahren und es dann bei seiner Heimkehr nach Hause irgendwann tragen … wenn alles in Ordnung ging. Schon jetzt war der Gedanke daran, wieder umzukehren, überaus verlockend. Manchmal bestand die Zukunft nur aus einem einzigen Ziel.
    Kapitän Falstaff kündigte den Landeanflug auf Chicago an. Die örtliche Ankunftszeit würde 22:45 betragen. Tawny lächelte und überprüfte seinen Sicherheitsgurt. Sie musste einen Freund haben, der blond und muskulös war. Wahrscheinlich Karatelehrer. Cruz fragte sich, ob sie wohl auch so lächelte, wenn Mr Kung Fu sie so fickte, dass ihr die Titten sausten. Hatten Leute mit einer solchen Frohnatur überhaupt jemals Sex?
    Nach der Landung auf O’Hare hatte Cruz auf einmal gar keine Lust mehr, die warme Geborgenheit des Flugzeugs zu verlassen. Das wäre eine weitere gekappte Verbindung zu seinem bisherigen Leben. Aber die Schneide, auf der Cruz balancierte, hatte ihre zwei Seiten: Für jedes Quäntchen Heimweh war da auch das Bewusstsein, dass Emilio so viel weiter weg war.
    Er fragt sich, was Emilio wohl gerade tat, in dieser Minute, in der er vergeblich nach einer Uhr in einer ihm fremden Ankunftshalle suchte. Er war auf irrationale Weise glücklich darüber, dass er seine Ampulle noch hatte und das Hawaiishirt. Sie waren Beweise seiner Identität in einem Moment, in dem er befürchtete, den Verstand zu verlieren.
    Chicago sah nur aus zehntausend Meter Höhe gut aus. Während des Abstieges wurden die Kleckse aus Schnee und Eis, die über die Landschaft verstreut waren, immer beklemmender. Wie oft schon, so fragte er sich, ob ein Klumpen Eis gerade an der richtigen Stelle festgefroren war und das Flugzeug zum Absturz bringen würde? Das Einzige, was dann einen riesigen schlittschuhfahrenden Jumbojet abbremsen konnte, wäre wohl ein nettes, stabiles Gebäude voller Leute.
    Noch in Miami hatte er 400 Dollar in bar gegen eine kirschrote 35-mm-Minolta-Kamera eingetauscht. Sie zog das eine Ende der Nike-Tasche nach unten. Auf großen Flugplätzen gab es immer einen Souvenirladen und andere Läden, die alle Shops hießen, damit die Kunden sich schon von vornherein auf astronomische Preise einstellen konnten. Für einen Satz Mignonzellen, der anderswo einen Dollar kostete, musste man in einem Flughafenshop leicht das vier- oder fünffache auf den Tisch legen. Und das waren dann noch die billigsten. Cruz hatte die Kamera benutzt, um seine Kokainampulle an Bord zu schmuggeln, indem er sie in die Filmbox der Kamera gesteckt hatte und die Kamera zur manuellen Untersuchung über den Metalldetektor gereicht hatte. Kein Problem.
    Wahrscheinlich konnte er sogar irgendwann mal herausfinden, wie man die Kamera bediente. Dann hatte er wenigstens etwas zu tun.
    Die meisten Eastern-Passagiere holten sich ihr Gepäck von dem angegebenen Karussell und verschwanden. Er fühlte die übliche Angst des Luftreisenden in sich aufsteigen: Würden die Wachposten an der Gepäckausgabe eine Quittung für ein Gepäckstück sehen wollen, das er mit ins Flugzeug gebracht hatte? Bei den fast hundert Flügen, die Cruz hinter sich hatte, war so etwas noch nie vorgekommen, aber er dachte jedes Mal wieder daran. Seltsam. Er lächelte im Vorübergehen die Uniformierten an, genauso wie er die bewaffneten und ernst dreinblickenden Leute in Miami angelächelt hatte, die die Metalldetektoren bedienten. Was? Ich soll etwas zu verbergen haben?
    Türen mit Bewegungsmeldern glitten langsam auseinander, und Cruz bekam seinen ersten Eindruck vom Chicagoer Klima.
    Es schneite gerade nicht. Das war überhaupt der Grund gewesen, warum Cruz’ Flugzeug pünktlich landen konnte. Er sah alten Schnee, der von den Schneeschiebern vor eine Reihe parkender Autos geschoben worden war. Der Schnee durchlief von der Spitze des anderthalb Meter hohen Hügels bis

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