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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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hinterließen nur schwarze Rechtecke, die undurchsichtiger waren als Bleiplatten. Der Radiator zischte und ging aus. Er hatte noch nie ausreichend Wärme gespendet. Ohne das Licht von der Straße, von außen, war es vollkommen dunkel.
    Elvie verbrauchte den Sauerstoff, der in dem jetzt luftdicht verschlossenen Raum verblieben war, mit den konstanten, ruhigen Atemzügen des ungetrübten Schlafes.

7.
    Jonathan hatte eine sachkundige Theaterkritik über sein Leben abgefasst:
     
    Eine nette, wenn auch unbedeutende Landestheaterproduktion eines der überflüssigen Werke eines verdientermaßen unbekannten Autors, dem es nie gelang, Anhänger zu finden. Obwohl der Amateurstatus sich nicht verleugnen lässt, sind die technischen Möglichkeiten vielversprechend. Das Drama füllt den Magen … allein: Es fehlt Substanz. Es ist insgesamt nicht emotional anrührend genug, sozusagen fade. Das Stück ließe sich ebenso gut vor einem leeren Theater aufführen – ein Werk, dessen Spiel mit Sicherheit zu einer Zeil, in der Risiken zum Handwerk gehören, schon beleidigend ist. Zwei Punkte.
     
    Du bist der Star in deinem eigenen Leben, hatte seine Mutter ihn gelehrt. Das schien jetzt Jahrhunderte her zu sein. Aber was nutzt das, wenn dein Leben ein Stück ist, das sich niemand anschauen will?
    Na und? Komm, Kleiner – du packst es!
    In Augenhöhe auf dem Regal stand ein aufziehbares Pterodaktylus-Skelett, eines von Bashs kleinen »Willkommen in der Hölle« -Geschenken. Er drehte an der Aufziehfeder des prähistorischen Protovögelchens und ließ ihn die Steigung des Zeichentisches hinaufkrabbeln. Die Gummifüße rutschten über das glatte weiße Plastik. Ein Skelettflügel klappte langsam auf und nieder, sein Gegenstück lahmte, der Hebel, der ihn auf und ab bewegte, hatte sich im Brustkorb verheddert. Jonathan montierte den Flügel ab und kürzte den Hebel mit seinem Schnitzmesser, aber das Ergebnis war nicht viel besser. Er dachte an die Überreste von Pterodaktylen, an die Geister von Dinosauriern, die kürzlich in einem Gletscher wieder zum Leben erwacht waren und die sich jetzt die eisige Steigung hochkämpften. Sie waren chancenlos.
    Bash besaß einen hervorragenden Geschmack, was Spielzeug anging, und hatte immer nur das Beste. Er hütete immer noch einen großen Teil des Mülls aus seiner Kindheit – einen Kampfroboter, bei dem die meisten Projektile noch vorhanden waren; einen James-Bond-Agentenkoffer (bei dem das explodierende Notizbuch fehlte); einen kompletten Satz Schlag-sie-beiß-sie-Roboter und eine Sammlung von Sammeltierchen aus Kaugummiautomaten in der ersten Auflage. Von Bashs Spielzeugen fand Jonathan aber eine Schneekugel am faszinierendsten, ein mit Wasser gefülltes Teil, das einen Schneesturm simulierte, wenn man es schüttelte. Die Szenerie stellte einen Miniaturfriedhof dar: Winzige graue Grabsteine ragten aus einem bemalten Plastikhügel mit einem vergammelten Zaun im Hintergrund. Wenn man direkt von oben hinuntersah, dann konnte man erkennen, dass die winzigen Gräber offen waren und in ihnen Leichen lagen, die Schädel mit Edelsteinaugen besetzt, ihre Leichentücher um die Knochen gewickelt wie die Kleiderfetzen von toten Piraten. Wie sie so gemütlich in ihren kleinen Gräbern lagen, bildeten sie eine mikrokosmische Totenstadt. Wenn der Schnee dann heruntergerieselt war, waren die Gräber wieder alle gefüllt und ihr Inhalt verborgen.
    Bash hatte auch immer noch seinen Magic-8-Würfel. Wenn man ihn drehte, dann erschien eine geheimnisvolle Antwort auf der Oberfläche des runden Fensters im Boden. Man weiß es nicht. Prognose positiv. Als Jonathan noch einen besessen hatte und ihn bei bedeutenden Dingen in seinem Leben um Rat gefragt hatte, dann erhielt er für gewöhnlich das gefürchtete Frag später noch einmal. Aber Bash, und das war zu erwarten gewesen, hatte sich mit diesem gekauften Hokuspokus gelangweilt. Zu nichtssagend, zu gewöhnlich. In der Layoutwerkstatt von Rapid O’Graphics hatte er sich sein eigenes Tetraeder von Antworten entworfen und zusammengeleimt. Mit den dort vorhandenen Möglichkeiten und seiner eigenen Geschicklichkeit war es ihm ein leichtes gewesen, einen Magic-8-Würfel auseinanderzunehmen, die Veränderungen einzufügen, das Glas mit Wasser zu füllen und das Ganze wieder zusammenzusetzen. Nach Bashs Manipulationen funktionierte er besser als je zuvor. Und dann kam Jonathan nach Chicago, nahm völlig ahnungslos Bashs Magic-8-Würfel aus dem Regal und fürchtete nach all

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