Der Schakal
November 1963 erweisen, als John F. Kennedy von einem halbverrückten und in Sicherheitsdingen völlig ignoranten Amateur erschossen wurde, während Charles de Gaulle weiterlebte, um Jahre später zurückzutreten und in Frieden auf seinem Landsitz zu sterben.
Was der Schakal dagegen wußte, war, daß die Sicherheitsbeamten, gegen die er antrat, zum mindesten zu den besten der Welt gehörten; daß der gesamte Sicherheitsapparat, der Präsident de Gaulle umgab, sich in einem Zustand permanenter Vorwarnung befand, der ihn auf die bloße Möglichkeit eines auf das Leben seines Schützlings geplanten Anschlags hin sofort reagieren ließ, und daß die Organisation, für die er, der Schakal, arbeitete, ihrerseits von Spitzeln und Geheimagenten unterwandert und durchsetzt war.
Auf der Habenseite konnte er lediglich seine Anonymität sowie die cholerische Weigerung seines Opfers verbuchen, den eigenen Sicherheitsexperten irgendwie entgegenzukommen. Der Stolz, die Dickköpfigkeit und die absolute Verachtung jedweder ihm drohenden Gefahr würden den französischen Staatspräsidenten zwingen, am festgesetzten Tage aus der Deckung herauszutreten und, gleichgültig, welche Risiken damit verbunden waren, ein paar Sekunden lang ein weithin sichtbares Ziel abzugeben.
Im Ausrollen vollführte die soeben gelandete SAS-Maschine aus Kopenhagen-Kastrup vor dem Londoner Flughafengebäude eine letzte Schwenkung, die sie in die vorgesehene Position brachte, glitt noch ein paar Meter weiter und blieb dann stehen. Nach wenigen Sekunden erstarb das Heulen der Triebwerke, und kurz darauf wurde die Treppe herangerollt. Der lächelnden Stewardeß ein letztes Mal zunickend, verließen die Passagiere einer nach dem anderen das Flugzeug und stiegen die Treppe hinunter.
Der blonde Mann auf der Aussichtsterrasse schob seine dunkle Sonnenbrille über die Stirn hinauf und blickte durch sein Fernglas. Die sich treppabwärts bewegende Prozession der Fluggäste war die sechste an diesem Morgen, der er seine Aufmerksamkeit widmete. Aber da die Terrasse bei dem warmen Sonnenschein von Menschen überfüllt war, die auf ankommende Passagiere warteten und sie, sobald sie aus ihren Flugzeugen heraustraten, zu entdecken und durch Winken auf sich aufmerksam zu machen hofften, fiel sein Verhalten niemandem auf.
Als der achte Fluggast aus der Tür ins Helle hinaustrat, beugte sich der Mann auf der Terrasse unwillkürlich vor, während sein Blick dem Ankömmling die Treppe hinunter folgte. Der Passagier aus Dänemark, ein Priester oder Pastor, war mit einem dunkelgrauen geistlichen Anzug und steifem hohem Kragen bekleidet. Dem aus der Stirn gekämmten eisengrauen Haar nach zu urteilen, das er mittellang trug, mochte er Ende Vierzig sein, aber sein Gesicht wirkte entschieden jünger. Er war hochgewachsen, hatte breite Schultern und sah körperlich fit aus. Seine Figur glich annähernd derjenigen des Mannes, der ihn von der Terrasse aus beobachtete.
Während die Fluggäste der Ankunftshalle zustrebten, um sich der Zoll und Paßkontrolle zu unterziehen, verstaute der Schakal den Feldstecher in seiner Aktentasche und begab sich ohne Hast durch die geöffnete Glastür in die ein Stockwerk tiefer gelegene Haupthalle.
Fünfzehn Minuten später hatte der dänische Geistliche die Zollkontrolle passiert und betrat, mit Koffer und Reisetasche bewaffnet, die Haupthalle. Er schien von niemandem abgeholt zu werden und steuerte auf den Schalter von Barklay's Bank zu, um Geld zu wechseln.
Den Angaben zufolge, die er sechs Wochen später der dänischen Polizei gegenüber machte, bemerkte er den blonden jungen Engländer nicht, der, offenbar darauf wartend, daß er an die Reihe kam, neben ihm in der Schlange stand und ihn eingehend durch die dunklen Gläser seiner Brille fixierte. Jedenfalls erinnerte sich der Däne nicht, den Mann gesehen zu haben. Aber als er die Haupthalle verließ, um den BEA-Bus zum Cromwell-Road-Terminal zu besteigen, ging der Engländer, der seine Aktentasche trug, nur wenige Schritte hinter ihm, und beide fuhren mit demselben Bus in die Stadt.
Am Terminal mußte der Däne ein paar Minuten warten, bis sein Koffer aus dem an den Bus gekoppelten Gepäckanhänger geholt worden war. Dann machte er sich, den mit einem Pfeil und dem internationalen Wort »Taxi« versehenen Exit-Schildern folgend, auf den an einer Reihe von Check-in-Schaltern vorbeiführenden Weg zum Ausgang.
Währenddessen ging der Engländer um das hintere Ende des Busses herum und quer
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