Der Schakal
Geld benötigte. Warum, das sollte die Polizei freilich erst Wochen später, in den ersten vierzehn Tagen des August, herausfinden, und das dann auf eine ganz andere Weise.
Innerhalb der letzten beiden Juniwochen spitzte sich die Situation in einer derart bedrohlichen Weise zu, daß Commissaire Maurice Bouvier, der hochgeschätzte Chef der Brigade Criminelle der Police Judiciaire, mit der Aufklärung der beispiellosen Welle von Gewaltverbrechen beauftragt wurde. In seinem überraschend kleinen, von Papieren und Akten überbordenden Büro im Hauptquartier der PJ am Quai des Orfèvres Nr. 36 wurde eine graphische Darstellung angefertigt, auf der die Höhe der geraubten Geldbeträge und, soweit es sich um Juwelen handelte, der annähernde Kaufwert der gestohlenen Schmucksachen abzulesen war. In der zweiten Julihälfte überstieg der Gesamtbetrag bereits die Summe von zwei Millionen Neuer Francs oder 400000 Dollar. Selbst wenn man davon eine Summe abzog, die zur Deckung der mit jedem der organisierten Raubüberfälle zunächst verbundenen Unkosten ausreichen mochte, und darüber hinaus einen weiteren Betrag in Abzug brachte, der zur Entlehnung der Deserteure und kleinen Gewohnheitsverbrecher diente, die sie ausführten, blieb nach Schätzung des Commissaire eine beträchtliche Summe Geldes übrig, deren Verwendung ungeklärt war.
In der letzten Juniwoche landete auf dem Schreibtisch von General Guibaud, dem Leiter des SDECE, ein vom Chef seines ständigen Büros in Rom verfaßter Bericht. Er besagte, daß die drei Männer an der Spitze der OAS, Marc Rodin, René Montclair und André Casson, sich gemeinsam im obersten Stockwerk eines in unmittelbarer Nähe der Via Condotti gelegenen Hotels eingemietet hatten. Der Bericht erwähnte darüber hinaus, daß die drei Männer, ungeachtet der zweifellos nicht unbeträchtlichen Kosten eines Hotelaufenthalts in einem so exklusiven Viertel, das gesamte oberste Stockwerk für sich und das darunter befindliche für ihre Leibwächter reserviert hatten. Sie ließen sich Tag und Nacht von nicht weniger als acht bewährten ehemaligen Fremdenlegionären bewachen und gingen grundsätzlich nicht aus. Zunächst hatte man angenommen, daß sie zu einer Konferenz zusammengetroffen seien; als aber ein Tag nach dem anderen verging, gelangte der SDECE zu der Ansicht, sie träfen lediglich ungewöhnlich umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen, um nicht Opfer einer Kidnapping-Aktion zu werden, wie sie bereits Antoine Argoud gegolten hatte.
General Guibaud, der den Bericht als Routinesache ablegte, konnte bei dem Gedanken an die drei Top-Männer der Terroristenorganisation, die sich jetzt ihrerseits in ein römisches Hotel verkrochen hatten, ein grimmiges Lächeln nicht unterdrücken. Trotz der zwischen dem französischen Außenministerium am Quai d'Orsay und dem Bonner Auswärtigen Amt noch immer schwelenden Verstimmung wegen der flagranten Verletzung westdeutscher territorialer Hoheitsrechte, die sich der französische SDECE bei der gewaltsamen Entführung Oberst Argouds aus dem Münchner Eden-Wolff-Hotel hatte zuschulden kommen lassen, glaubte Guibaud, Grund genug zu haben, mit den Männern seines Aktionsdienstes, die den Coup ausgeführt hatten, zufrieden zu sein. Die Vorstellung angsterfüllt davon laufender OAS- Bosse war an sich schon eine Belohnung. Der General verdrängte das ihn beim Studium der Akte Marc Rodins beschleichende leichte Unbehagen und ließ die Frage, warum ein Mann wie Rodin es so rasch mit der Angst bekommen sollte, unbeantwortet. Als Mann von beträchtlicher Erfahrung auf seinem Spezialgebiet und genauer Kenntnis der Realitäten von Politik und Diplomatie wußte er, daß er schwerlich damit rechnen konnte, jemals die Genehmigung zur Vorbereitung und Durchführung eines weiteren Menschenraubs zu bekommen. Was es in Wahrheit mit den umfänglichen Vorsichtsmaßnahmen auf sich hatte, welche die drei OAS-Bosse zu ihrer eigenen Sicherheit trafen, dämmerte ihm erst sehr viel später.
In London verbrachte der Schakal die beiden letzten Juniwochen und die ersten vierzehn Tage des Juli mit gründlichen Vorbereitungen. Seit dem Tag seiner Rückkehr war er damit beschäftigt, sich nahezu jedes gedruckte Wort von oder über Charles de Gaulle zu beschaffen und zu lesen. Am Ende des Artikels über den französischen Staatspräsidenten in der Encyclopaedia Britannica, den er im Lesesaal der öffentlichen Bibliothek seines Stadtviertels nachschlug, fand er eine Zusammenstellung
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