Der Schatten des Chamaeleons
ist. Was wird Chalky schon sagen, wenn wir ihn finden? Er hat Dr. Jackson erzählt, er kenne Ben erst seit einem Monat, und Ben hat Ähnliches ausgesagt. Sechs Wochen höchstens.«
»Vorausgesetzt, die beiden sagen die Wahrheit.«
»Warum sollten sie das nicht tun? Ben weiß nicht, was Chalky Dr. Jackson erzählt hat.«
Beale schüttelte langsam den Kopf. »Ich verstehe nicht, was die beiden miteinander verbindet. Warum sollte es einem ruppigen, miesgelaunten Säufer überhaupt auffallen, wenn ein junger Kerl von Schwulen belästigt wird?« Er setzte den Blinker, um von der Hauptstraße in Richtung Crown abzubiegen. »Umgekehrt wär’s einleuchtender - wenn Ben auf Chalky aufpassen würde.«
»Warum?«
»Chalky ist derjenige, der angepinkelt wird.«
Jackson war verblüfft, wie beiläufig Acland seine Exverlobte eine »billige Hure« genannt hatte. Das schien ihr für einen verschlossenen Menschen wie ihn so untypisch wie seine plötzliche Bereitschaft, über seine Eltern zu sprechen. Steckte da Berechnung dahinter? Sie erinnerte sich an den letzten Teil ihres Gesprächs mit Robert Willis, als dieser etwas erwähnte, was er von Susan Campbell gehört hatte.
»Der Polizei zufolge ist Jen Morley eine Edelprostituierte. Die
Kriminalbeamten haben Susan gefragt, ob Charles sie vielleicht von dem Milieu wegholen wollte. Ob das ein Grund für die Heirat war?« Der Psychiater hielt inne. »Ich sehe das anders. Meiner Meinung nach hatte er keine Ahnung, welchem Gewerbe sie nachging, und kam erst spät in der Beziehung dahinter, dass er sie mit ihren Freiern teilte. Das wird für ihn nicht leicht zu verarbeiten gewesen sein.«
»So ginge es wohl den meisten Männern.«
»Richtig«, stimmte Willis zu, »und ich kann mir vorstellen, dass einige in der gleichen Situation sich auf die gleiche Art gerächt hätten wie Charles. Sex ist für ihn ein äußerst schwieriges Kapitel - wahrscheinlich weil er nie wusste, woran er war: Mal bot sich Jen ihm an, mal entzog sie sich ihm.«
»Das macht ihn nicht unbedingt vertrauenswürdig«, meinte Jackson. »Was ist, wenn es ihm plötzlich gefallen hat, eine Frau zu vergewaltigen?«
»Alles weist in die andere Richtung«, widersprach Willis. »Er würde nicht diese tiefe Scham empfinden, wenn ihm das alles nichts ausgemacht hätte. Es würde mich offen gestanden weit mehr beunruhigen, wenn Sie mir erzählten, dass er den ganzen Tag in der Kneipe sitzt und Daisy anstarrt, ohne einen Ton zu reden. Vergewaltiger werden von starken sexuellen Trieben beherrscht und nähren ihre Phantasien häufig mit Pornographischem oder mit der Beobachtung möglicher Opfer. Aber das alles passt nicht auf Charles.«
Nein, dachte Jackson, als sie jetzt den Zündschlüssel einschob. Die zutreffendste Beschreibung war der »Mönch« des Superintendent. Sie ließ den Motor an. »Soll das heißen, dass Jen eine Prostituierte ist?«, fragte sie Acland, als wüsste sie das nicht schon.
»Sie nennt sich Hostess, aber das ist nichts anderes.« Er wirkte gleichgültig.
»Wozu braucht sie das Geld?« Jackson fuhr los.
Er starrte unbewegt durch die Windschutzscheibe. »Sie hat ihren
Sponsor verloren. Bevor ich geschnallt habe, was läuft, habe ich alles bezahlt.« Er lachte kurz. »Ich glaubte anfangs, sie wäre eine kleine Schauspielerin, die sich die Miete nicht leisten kann. Ein guter Witz.«
»Wofür hat sie das Geld in Wirklichkeit gebraucht?«
»Suchen Sie es sich aus. Als ich das letzte Mal bei ihr war, hat sie Crack geraucht.«
Am Tag der Vergewaltigung? »Und?«
»Sie meinte, ich sollte ein bisschen Koks schnupfen, dann würde ich gleich lockerer werden.«
»Haben Sie’s getan?«
Acland schüttelte den Kopf.
»Wann war das?«
»Ende September - an dem Wochenende, bevor ich in den Irak geflogen bin. Irgendwie war es eine Erleichterung. Es ist leichter, etwas zu akzeptieren, wenn man einer Droge die Schuld daran geben kann.« Er versank in Schweigen.
»Was ist leichter zu akzeptieren?«
»Dass man ein Idiot ist. Als ich sie kennenlernte, war sie die selbstbewussteste Frau, die mir je begegnet war. Nichts konnte sie erschüttern. Es war, als hätte man den Jackpot gewonnen - Aussehen und Persönlichkeit, alles war da.« Wieder lachte er leise. »Ich hätte merken müssen, dass es zu schön war, um wahr zu sein.«
Jackson warf ihm einen teilnehmenden Blick zu. »Was wissen Sie über Kokainsucht, Charles?«
»Sie zerstört einen Menschen.«
»Sie verändert jedenfalls die
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