Der Schatten des Chamaeleons
Sie, warum sie nicht gegangen ist?«
»Sie akzeptiert kein Nein. Das ist ein Wort, das sie selten zu
hören bekommt. Ich wette, Sie haben ihr erlaubt, sich in Ihr Zimmer zu setzen, damit Sie ihr dann zum Trost die Hand tätscheln können. Jeder fällt auf diese Schau herein.«
»Richtig, sie sitzt in meinem Zimmer. Ans Handtätscheln hatte ich aber nicht gedacht«, entgegnete Willis gelassen. »Therapeuten meiden im Allgemeinen den körperlichen Kontakt, weil sie fürchten, dies könnte falsch aufgefasst werden.«
»Dann seien Sie nur vorsichtig. Sie hüpft Ihnen ohne Weiteres auf den Schoß, wenn sie damit etwas erreichen kann. Wenn Sie ihr zum Beispiel erzählen, was ich gesagt habe.«
»Warum sollte ich das tun?«
»Sie haben mir doch auch erzählt, was sie gesagt hat.«
»Aber sie ist nicht meine Patientin, Charles. Da besteht für mich keine ärztliche Schweigepflicht. Sie ist praktisch eine Fremde. Sie wurde zu mir gebracht, weil sie behauptete, sie habe ihre Tasche bei Ihnen im Zimmer gelassen und getraue sich nicht, sie zurückzuverlangen. Ohne Zugfahrkarte und Taxigeld kommt sie nicht mehr nach Hause. Was haben Sie denn von mir erwartet? Dass ich sie hinauswerfe und ihr erkläre, sie sei selber schuld, weil sie uneingeladen hierhergekommen ist?«
Wieder blitzte der spöttische Funke in Aclands Blick auf. »Sie müssen wirklich vorsichtig sein, Doc. Wenn Sie ihr die zartbesaitete Jungfrau schon abgekauft haben, werden Sie sie als Nächstes persönlich nach Hause fahren, wie sich das für einen echten Gentleman gehört.«
»Ist es so abgelaufen, als Sie sie kennengelernt haben?«
Acland nickte.
»Und Sie können es nicht empfehlen?«
»Das kommt darauf an, wie gern Sie sich ausnehmen lassen.«
Auf dem Weg in sein Zimmer schimpfte Willis leise vor sich hin. Es hatte ihn harte Arbeit gekostet, Acland zu überreden, für die Zeit bis zur nächsten Operation bei Susan Campbell zu wohnen,
und er wollte nicht, dass das ganze schöne Arrangement jetzt platzte. Die ersten beiden Male war Acland zwischen den Operationen in einem Hotel in Birmingham gewesen, wo er offenbar überhaupt nicht auf sich achtgegeben hatte. Beide Male war er mit Anzeichen von Unterernährung ins Krankenhaus zurückgekehrt, aber alle guten Ratschläge, er solle sich daheim bei seinen Eltern erholen, stießen auf taube Ohren.
Susan Campbell, eine alte Freundin und Kollegin, die in London eine Frühstückspension betrieb, hatte sich als Alternative angeboten, doch ob sie jetzt noch bereit war, Acland bei sich aufzunehmen, war fraglich. Willis war sauer auf Jen Morley. Acland war jemand, der anstatt zu lügen lieber einer Frage auswich oder gar nichts sagte und seinen Unwillen durch verschiedene nervöse Ticks mitteilte. So viel Aufrichtigkeit erwartete Willis von Jen Morley nicht.
Sie hat gesagt, Sie hätten ihr geschrieben, dass sie herkommen soll ...
5
Auf dem Flur stieß Willis auf den Leiter des Sicherheitsdiensts im Krankenhaus, Gareth Blades, der vor Willis’ Büro auf ihn gewartet hatte. Der Mann, ein bulliger Expolizist, nahm ihn beim Arm und führte ihn von der Tür weg. »Ms. Morley ist drinnen bei Ihrer Sekretärin. Ich wollte kurz mit Ihnen reden, bevor Sie reingehen. Was war denn da los mit den zweien, Bob?«
»Kommt darauf an, wem von beiden man glauben will. Will Ms. Morley jetzt doch Anzeige erstatten?«
»Nein. Sie will alles nicht noch schlimmer machen... Sie hat damit gedroht, alles zurückzunehmen, was sie bisher gesagt hat, wenn wir die Sache weiterverfolgen.« Er lächelte säuerlich. »Für mich steht fest, dass er sie angegriffen hat. Im Moment hält sie sich ganz tapfer, aber anfangs war sie völlig fertig.«
»Hat sie Blutergüsse?«
»Ich konnte keine entdecken. Ich habe ihr vorgeschlagen, ihren Hals von einer Schwester anschauen zu lassen, aber das hat sie abgelehnt. Sie trägt einen hochgeschlossenen Kragen, und darüber ist nichts zu sehen. Aber ich wette, darunter gibt es eine ganze Menge zu sehen. Sie ist sehr dünn - da braucht’s nicht viel für einen Bluterguss.«
»Was ist mit ihren Händen und Unterarmen? Der Lieutenant sagte, er hätte sie festgehalten, weil er nicht wollte, dass sie ihn berührt.«
»Mir ist nichts aufgefallen, aber sie hat lange Ärmel an. Vielleicht können Sie mal schauen, wenn Sie reingehen.«
»Wenn sie ihn nicht anzeigen möchte, können wir sie nicht dazu zwingen, Gareth.«
»Ich weiß, aber wohl ist mir nicht dabei. Wir müssen auch an die Sicherheit
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