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Der Schatten des Chamaeleons

Titel: Der Schatten des Chamaeleons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters Mechtild Sandberg-Ciletti
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ihm zu verstehen gab, dass sie gern gehen würde. Sie verabschiedete sich von Jen Morley und blieb an der Tür stehen, um ihm, die Hand mit abgespreiztem Daumen und kleinem Finger neben dem Ohr, als telefonierte sie, ein Zeichen zu geben. »Eines noch, bevor Sie gehen«, rief er ihr nach. »Ich erwarte in den nächsten Minuten einen Anruf von Henry Watson. Alle anderen Anrufer können Sie vertrösten, aber Watson muss ich gleich sprechen. Vielleicht können Sie ihn bitten, sich kurz zu fassen.«
    »Kein Problem«, sagte Ruth und schloss die Tür hinter sich.
    Willis nahm seine Brille ab, um energisch die Gläser zu putzen und dabei kurzsichtig über den Schreibtisch zu blicken. Das sollte ihn menschlicher erscheinen lassen, den Eindruck von Autorität etwas dämpfen, und es wirkte, Jen Morleys Schultern lockerten sich sichtbar. »Charles war auch ein wenig erschrocken, Ms. Morley, wenn auch vielleicht mit weniger Grund. Soviel ich weiß, hat er Sie nicht erwartet.«

    »Ich habe ihm geschrieben, dass ich komme.«
    Willis ließ die Lüge durchgehen. Charles hatte ihm jeden Brief von Jen Morley übergeben, und der letzte war vor zwei Wochen gekommen. Von einem beabsichtigten Besuch hatte sie darin nichts erwähnt, lediglich wiederholt, was sie schon früher geschrieben hatte: Du fehlst mir... Weißt du noch, damals...? Ich fühle mich einsam ohne dich... In keinem der Schreiben gab es auch nur eine Anspielung auf die Ursache der Trennung, und Willis fragte sich, ob sie ernsthaft glaubte, was sie in ihrer E-Mail geschrieben hatte, dass die Amnesie die Erinnerung daran bei Charles ausgelöscht haben könnte.
    Er beschloss, ihr ein wenig zu schmeicheln. »Sie und Charles waren sicher ein schönes Paar, Ms. Morley. Sie sind ja eine sehr attraktive Frau... Aber das hat man Ihnen wahrscheinlich schon tausend Mal gesagt.«
    Sie nahm das Kompliment als selbstverständlich. »Danke … ja, wir waren wirklich ein schönes Paar. Charlie - es ist wohl sehr schlimm für ihn? Er hat sich nicht herumgedreht, als ich ins Zimmer kam. Schämt er sich wegen seines Gesichts?«
    Willis hielt seine Antwort allgemein. »Den meisten Menschen fällt es schwer, sich mit körperlicher Entstellung abzufinden. Die Reaktionen der anderen sind häufig verletzend.«
    »Ich habe geschrien«, bekannte sie. »Ich könnte mich ohrfeigen. Dass ich so dumm war.«
    »Er versteht das sicher.«
    »Glauben Sie? Dass er sich aufregt, war das Letzte, was ich wollte. - Ich wollte ihm nur meine Freundschaft anbieten.« Sie sah den Psychiater bekümmert an. »Ich habe alles falsch gemacht, nicht wahr?«
    »Es wäre gut gewesen, wenn Sie mich von Ihrem beabsichtigten Besuch unterrichtet hätten.«
    »Ja, das hätte ich tun sollen«, stimmte sie zu. »Sie hatten mir ja geschrieben, er habe kein Interesse.« Sie seufzte ein wenig. »Ich habe Ihnen nicht geglaubt. Charlie bildet sich die albernsten
Sachen ein, wenn er meint, die Welt sei gegen ihn, aber ich kann sie ihm meistens wieder ausreden.«
    Willis nickte. »Das glaube ich gern. Sie sind sehr -« Er brach ab und griff zum Telefon. »Würden Sie mich einen Moment entschuldigen? Es dauert nicht lang.« Er hob den Hörer ans Ohr. »Hallo, Henry.«
    Ruths Stimme am anderen Ende war leise. »Bevor Sie ganz dahinschmelzen, sollten Sie noch eins wissen: Sie ist nicht so unschuldig, wie sie aussieht. Ich glaube, sie hat vorhin Ihr Jackett durchsucht. Ich hatte sie ein paar Minuten allein gelassen, und sie sprang wie ein Rehlein von der Jacke weg, als ich wieder ins Zimmer kam.«
    »Machen Sie sich in der Hinsicht keine Sorgen. Da ist nichts Wichtiges drin. Sonst noch etwas?«
    »Sie war richtig fies, bevor ihre Tasche gebracht wurde. Dann fragte sie nach der Toilette, und als sie wieder rauskam, war sie der holde Engel. Gareth ist prompt drauf reingefallen, ich nicht...« Willis sah beinahe ihr Lächeln - »wahrscheinlich weil ich nie so hübsch war.«
    Willis lachte. »Okay. Danke, Henry. Das ist eine große Hilfe.« Er legte auf und lächelte zerstreut. »Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja... Charles.« Er sah Jen Morley mit einem Ausdruck der Verwunderung an. »Er scheint zu glauben, ich hätte Sie gebeten herzukommen, Ms. Morley. Kann es sein, dass Sie ihm diesen Eindruck vermittelt haben?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Aber nein.« Sie überlegte einen Moment. »Er ist ziemlich eifersüchtig, Dr. Willis. Wenn er weiß, dass wir miteinander korrespondiert haben, hat ihn das vielleicht misstrauisch

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