Der Schatten des Chamaeleons
umsonst tun. Sie fanden’s komisch - sagten, ich könnte ja zu den Bullen gehen, wenn ich meine, ich wär beschissen worden.« Er richtete die Fingerpistole auf die Wand, zielte und tat, als würde er vom Rückstoß erschüttert. »Am liebsten hätte ich sie alle miteinander umgebracht.«
»Das kann ich verstehen«, sagte Jackson. »Das ginge mir genauso.«
»Ich hab’s nur für das Scheißgeld gemacht.«
»Wann ist das gewesen? Ist es schon länger her?«
»Ein paar Monate«, sagte er vage, »ungefähr um die Zeit, als ich Chalky getroffen hab.«
Monate? »Hat er dich deswegen unter seine Fittiche genommen? Hast du ihm davon erzählt?«
» Ein bisschen was - nicht viel. Ich wollt ja nicht, dass er überall rumerzählt, ich wär ein Scheißschwuler.«
Jackson lächelte. »Ich glaube, da hast du nichts zu fürchten. Ich denke, Chalky hat selbst zu viele Geheimnisse, um über die von anderen zu reden.«
Wieder der taxierende Blick. »Kennen Sie ihn denn?«
»Er war an dem Abend, als du ins Koma gefallen bist, in eurem Hinterhof. Ich halte es für möglich, dass er einen Segeltuchbeutel an sich genommen hat, der dir gehörte.«
Bens Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Nee«, sagte er entschieden. »Ich hatte nichts weiter als einen Rucksack.«
»Und was ist mit der Tragtüte mit dem Whisky und den Zigaretten? Chalky sagte, sie gehöre dir.«
»Der ist doch ein Alki. Der redet die meiste Zeit bloß Mist.«
»Er hat sich aber bemüht, dir zu helfen. Ich musste ihn einiges fragen, um herauszufinden, wann du die ersten Symptome bekamst.« Sie sah das Erschrecken in seinen Augen. »Er wusste nicht viel - er sagte, er würde dich erst seit ungefähr einem Monat kennen und hätte dich nur fünf oder sechs Mal gesehen.«
Ben starrte auf seine Hände.
»Also, wer hat nun recht? Du oder Chalky? Wann ist diese Gruppenvergewaltigung wirklich passiert?«
»Vor einem Monat.«
Jackson bezweifelte das. Bei einem Diabetes vom Typ-1 wären Risse oder wunde Stellen nicht innerhalb von vier Wochen geheilt. Aber sie sagte nichts. »Weißt du, ob die Männer Kondome benutzt haben?«
Der Junge wand sich vor Verlegenheit. »Ich hab nichts gesehen - ich musste mich mit dem Gesicht nach unten aufs Bett legen -, aber ich glaub schon. Einer von ihnen dachte, ich hätte Aids, weil ich so dünn war - und der Typ, mit dem ich gegangen bin, hat gesagt, er soll eben’nen doppelten Gummi nehmen.« Er kniff die Augen zu, um die Tränen zurückzudrängen. »Ich hasse diese Scheißkerle. Echt.«
»Mit Recht«, stimmte sie zu. »Solchen Kerlen sollte man den Schwanz abreißen und ihnen an die Wohnungstür nageln. Würdest du die Männer wiedererkennen?«
»Nein. Haben die mich mit dem Diabetes angesteckt?«
Jackson schüttelte den Kopf. »Diabetes ist keine sexuell übertragbare Krankheit. Er hat sich bei dir wahrscheinlich im Lauf der letzten Wochen entwickelt, aber wenn du Angst vor Aids oder sexuell übertragbaren Krankheiten hast, kann Dr. Monaghan das mit ein paar einfachen Untersuchungen abklären.«
»Warum können nicht Sie die Untersuchungen machen?«
»Weil bei einer von ihnen auch kurz dein Darm angeschaut werden muss, und es ist nicht so peinlich, wenn ein Mann das macht.«
»Scheiße.«
Sie lächelte wieder. »Ja, davon wird sicherlich einiges vorhanden sein, aber keine Sorge - deine riecht auch nicht anders als die von den übrigen Leuten. Glaub mir, ich bin Ärztin.«
Ben lächelte widerwillig. »Sie sehen aber nicht so aus.«
»In meiner Freizeit mach ich Kraftsport.« Sie bemerkte einen Funken Interesse in seinem Blick. »Wenn du erst mal anfängst, ordentlich zu essen, und wenn deine Insulinversorgung stimmt, kommen die Muskeln im Nu. Ich mach gern mal einen Workout mit dir, wenn du dir von einer Frau was sagen lassen willst.«
»Okay.«
»Aber du musst es ernst nehmen«, warnte sie. »Zeitverschwender interessieren mich nicht.«
»Okay.«
»Was kriege ich dafür?«
Ben sah sie misstrauisch an, als fürchtete er, sie erwarte Dankbarkeit und Zuneigung. »Was wollen Sie denn haben?«, fragte er vorsichtig.
»Antworten auf meine Fragen. Ehrliche - jetzt gleich -, ohne die Polizei, deine Mutter oder den Anwalt.«
Er wurde noch misstrauischer. »Was für Fragen?«
»Die erste wäre: Wie bist du zu dem Nokia-Handy gekommen?«
Die Frage schien ihn aus der Fassung zu bringen, wobei er auf Jackson mehr verblüfft als erschrocken wirkte. Sie hörte geduldig zu, während er ihr das Gleiche
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