Der Schatten des Chamaeleons
er soll ein Kondom überziehen.«
»Ich bin nicht schwachsinnig.«
»Ach nein? Warum bist du nicht gleich zum Arzt gegangen, als du gemerkt hast, dass es dir schlecht geht?«
»Es ist mein Leben. Vielleicht wollte ich sterben.«
»Du wärst nicht zu Chalky gelaufen, wenn du das gewollt hättest. In deinem Zustand muss es eine Wahnsinnsanstrengung gewesen sein, über das Gitter zu klettern. Zehn Minuten später bist du ins Koma gefallen.«
»Und wenn Chalky nicht da gewesen wäre? Dann wäre ich gestorben.«
»Wenn du das wirklich gewollt hättest, hättest du dich in irgendeinen
Ladeneingang legen können. Du bist ein Penner. Passanten hätten geglaubt, du schliefst.« Sie hielt einen Moment inne und beobachtete ihn. »Aber Ladeneingänge kommen für dich nicht in Frage, wie? Chalky hat erzählt, dass du dich nicht gern von Schwulen anmachen lässt.«
»Ich hasse diese Arschlöcher.«
»Bist du mal mit einem mitgegangen?«
Er richtete wieder seine Fingerpistole auf sie. In seinem Blick lag blanker Hass. »Nein«, schrie er. »Lieber würd’ ich sterben.«
Jackson glaubte ihm nicht. Eine so ausgeprägte Homophobie ließ auf das Gegenteil schließen - eine langdauernde Missbrauchsbeziehung oder Selbstekel, weil er sich gegen Geld verkauft hatte, als er welches brauchte. »Was ist dein Stiefvater für ein Mensch?«
»Er ist ein widerlicher Typ«, sagte er wegwerfend.
»Widerlich inwiefern?«
»Er hat vom ersten Tag an so getan, als würde alles ihm gehören, nur weil er meine Mutter geheiratet hat.« Sein Mund zuckte.
»Sprechen wir hier von Regeln und Disziplin - oder geht’s um was anderes?«
»Ich kannte den Mistkerl überhaupt nicht, und der hat sich aufgeführt, als wäre er mein Dad. Die ganze Zeit hat’s nur Zoff gegeben.« Er starrte Jackson finster an. »Bis er kam, war alles in Ordnung. Ich wär nicht abgehauen, wenn er nicht gewesen wäre.«
»Hast du das deiner Mutter gesagt?«
»Ist doch wahr.«
Jackson schüttelte den Kopf. »Durch deinen Stiefvater hat sich die Beziehung zwischen deiner Mutter und dir geändert. So wie sie aussieht, vermute ich, dass du sie jahrelang rumkommandiert hast. Du warst der kleine Prinz - und als dann jemand kam und dir gezeigt hat, wo’s langgeht, bist du sauer gewesen.«
»Na und? Sie waren nicht dabei, und Sie kennen mich nicht«, knurrte er.
»Wenn aus der Sicht deiner Mutter alles gut gewesen wäre, hätte sie nicht deinen Stiefvater ins Haus gebracht«, erklärte Jackson geduldig. »Wahrscheinlich war sie einsam. Hast du daran mal gedacht, als du beschlossen hast, Krieg zu führen, um ihn wieder loszuwerden?«
»Ach, halten Sie doch die Klappe.«
Jackson zuckte mit den Schultern. »Probleme lösen sich nicht in Luft auf, nur weil man nicht über sie spricht. Irgendwann musst du dir überlegen, wohin du willst, wenn du hier rauskommst - und ein Leben auf der Straße kommt nicht in Frage für jemanden, der regelmäßig Insulin braucht.« Sie wartete, aber er schwieg. »Ich kann mich irren, aber ich habe den Eindruck, dass du Dinge tun musstest, um überleben zu können, die du nie getan hättest, wenn du zu Hause geblieben wärst.«
»Das geht Sie gar nichts an.«
»Doch, wenn es um deine Gesundheit geht, schon«, widersprach sie ruhig. »Wenn zu deinem Diabetes noch eine undiagnostizierte sexuell übertragbare Krankheit käme, wäre das mehr als schlimm. Hast du mit jemandem über deine Sexualkontakte gesprochen?«
»Nein - und ich werd’s auch nicht tun.«
»Es ist eine ganz einfache Untersuchung, und du bist hier am richtigen Ort dafür«, sagte Jackson sachlich. »Vielleicht wurde sie rein routinemäßig schon bei deiner Einlieferung durchgeführt. Soll ich Dr. Monaghan bitten, mit dir darüber zu sprechen? Er wird deiner Mutter nichts sagen, wenn du das nicht möchtest.«
Er musterte sie mit taxierendem Blick, als wollte er sehen, ob man ihr vertrauen konnte. »Und Sie?«
»Ich spreche mit niemandem über das, was du mir erzählst - es sei denn, du erlaubst es mir.«
»Das rate ich Ihnen auch«, versetzte er aggressiv.
»Ich habe mein Wort gegeben.«
Er beobachtete sie aus den Augenwinkeln. »Ich schneid mir die Pulsadern auf, wenn’s jemand erfährt. Mir wird schlecht, wenn ich nur dran denke.«
»Was ist passiert?«
»Ich hab’s nur einmal gemacht. Der Scheißkerl hat gesagt, er gibt mir dreißig Pfund, wenn ich mit ihm in ein Hotel gehe. Es war’ne Scheißfalle. Sie waren zu fünft und haben mich gezwungen. Ich musste es
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