Der Schatten des Chamaeleons
erzählte, was er schon der Polizei aufgetischt hatte, und zeigte nur Anteilnahme, als er schilderte, wie schlecht es ihm am Tag des Diebstahls gegangen war. »Das einzig Gute war, dass in der Tasche, die ich dem Typen geklaut hatte, ein paar Brote waren. Ich hatte einen Scheißhunger.«
»Das ist ein klassisches Diabetessymptom. Deine Zellen haben den Zucker nicht in Energie umgewandelt, darum hat dein
Gehirn dir befohlen zu essen - gleichzeitig hat dein Körper mit deinem Urin Zucker ausgeschieden, und du hast abgenommen.«
»Ich war ganz schön schlapp. Deshalb erinnere ich mich auch nicht mehr so genau an die Einzelheiten.«
Jackson nickte mit ernster Miene und forderte ihn auf, seine anderen Symptome zu beschreiben. Es war eine ganze Litanei. Müdigkeit. Starkes Durstgefühl. Schmerzen im Unterbauch. Häufiges Wasserlassen. Erbrechen. Schwindel. Zittrigkeit.
»Du warst ziemlich krank«, meinte sie.
»Stimmt. Ich glaube, ich bin ein paar Mal ohnmächtig geworden.«
»Kein Wunder, dass du durcheinander bist.«
Er nickte.
»Vielleicht hast du dir den Kopf angeschlagen, als du gefallen bist. Das ist häufig eine Ursache von Gedächtnisverlust.«
»Ja, genau«, stimmte er eifrig zu. »Ich bin ziemlich sicher, dass das passiert ist, als ich aus dem Park weg bin. Ich weiß noch, dass eine Frau mir vom Fußweg aufgeholfen und gefragt hat, ob alles in Ordnung ist.«
»Und wann, sagst du, ist das passiert?«
»Irgendwann im letzten Monat. Ich weiß nicht mehr genau.«
»Interessant«, murmelte Jackson. »Bei so schweren Symptomen, wie sie bei dir aufgetreten sind, wundert es mich, dass du nicht gleich ins Koma gefallen bist.«
Das Misstrauen kehrte in seinen Blick zurück. »Mir geht’s schon seit Ewigkeiten schlecht.«
»Hm.« Sie zog amüsiert eine Augenbraue hoch. »Hat Dr. Monaghan dir nicht erklärt, dass der Diabetes eins im Allgemeinen plötzlich auftritt? Gewöhnlich innerhalb von Tagen - nicht von Wochen . Müdigkeit, Durst und häufiges Wasserlassen sind typisch beim Ausbruch, aber Schmerzen im Unterbauch und Erbrechen sind Zeichen einer Ketoazidose, wie sie Ursache deines Zusammenbruchs vor vier Tagen war. Es fällt mir schwer
zu glauben, dass du wochenlang Ketonkörper im Blut hattest - aber sie ohne Eingreifen von außen neutralisieren konntest.«
Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Ich bin wahrscheinlich ein Glückspilz.«
»Oder ein sehr seltsamer Fall.« Sie machte seine Fingerpistole nach und tat, als bedrohte sie ihn. »Du kannst mir jetzt die Wahrheit sagen. Es ist keiner da, du kannst also ruhig ehrlich sein.«
»Ich war ehrlich.«
»Nein, nein. Wenn du umgekippt bist und erbrochen hast, dann musst du das Handy in den vierundzwanzig Stunden vor dem Kollaps gestohlen haben. Wenn du es vor vier Wochen gestohlen hast«, sagte sie mit ironischer Betonung, »sollten Durst und ständiges Wasserlassen dein Gedächtnis nicht angegriffen haben. Außer du bist drogen- oder alkoholabhängig und hast Dr. Monaghan nichts davon gesagt.«
Bens Mund begann wieder zu zucken. »Es ist doch nur ein Handy «, rief er heftig. »Ich kenne einen Typen, der klaut sie dauernd. Er reißt sie den Schlampen einfach aus der Hand, wenn die gerade ihre Kerle zutexten.« Er gestikulierte geziert mit den Händen und rollte die Augen. »Die denken gar nicht dran, dass jemand vorbeigehen und sie beklauen könnte - und meistens haben sie viel zu viel Angst, dass sie abgestochen werden, um was zu unternehmen.«
Jackson verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihn an, bis er den Blick senkte. »Wie alt sind diese ›Schlampen‹? Sind es zwölfjährige Schulmädchen? Mutige Freunde hast du, das muss ich sagen. Oder redest du von dir selbst? Musst du ein kleines Mädchen ›Schlampe‹ nennen, um das zu entschuldigen, was du ihr antust?«
»Es ist doch nur ein Wort«, murrte er. »Alle sagen es.«
»In meiner Anwesenheit nicht. In meiner Anwesenheit zeigen Männer Achtung vor Frauen.«
»Ja, okay...« Er schwieg. »Ich hab doch nur gesagt, dass jeden
Tag Handys geklaut werden und dass das kein Schwein interessiert.« Er beobachtete sie verstohlen. »Was ist an dem Nokia so wichtig?«
Jackson vermutete Gerissenheit hinter der Frage, nicht Unwissenheit. »Wenn du das nicht weißt, dann feuerst du deinen Anwalt am besten gleich. Er sollte wenigstens festgestellt haben, warum du befragt wirst.«
»Hat er ja - so ungefähr. Die Bullen haben gesagt, in meinem Rucksack wäre was drin gewesen, was
Weitere Kostenlose Bücher