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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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vielleicht sterben sollte, ehe der Mond aufging. Der Botschaft nachzuspüren, kam mir nichtig und kindisch vor.
    »Nicht alle zum Kämpfen, ist ja klar. Die meisten wollen nur zuschauen. Manche davon zum ersten Mal, weil ein Bekannter von ihnen kämpft, oder einfach, weil sie davon erfahren haben, darüber gelesen haben oder ein Lied darüber gehört haben. Normalerweise wird's ihnen ordentlich schlecht, weil sie bei mir reinschauen, um mit Hilfe von ein, zwei Flaschen damit fertig zu werden.
    Es gibt jedoch andere, die allabendlich oder wenigstens vier oder fünf Abende pro Woche kommen. Das sind die Kenner, die mehr über Waffen zu wissen vorgeben als diejenigen, welche sie gebrauchen, was in einigen Fällen stimmen mag. Nach Eurem Sieg, Sieur, werden Euch ein paar eine Runde ausgeben wollen. Falls Ihr einwilligt, belehren sie Euch, was Ihr und was Euer Gegner verkehrt gemacht haben; jedenfalls sind sie, wie Ihr feststellen werdet, immer andrer Meinung.«
    Ich sagte: »Wenn wir nachher essen, wollen wir ungestört sein.«
    Während ich sprach, vernahm ich das helle Tappen bloßer Füße auf den Stufen hinter uns. Agia und Dorcas kamen herunter; Agia trug die Averne, die mir jetzt im Dämmerlicht viel größer erschien.
    Ich erwähnte bereits, wie sehr ich Agia begehrt hatte. Wenn wir zu Frauen sprechen, reden wir, als wären Liebe und Begierde zweierlei Dinge; und Frauen, die uns oft lieben und manchmal begehren, behalten dasselbe Märchen bei. Tatsächlich sind es Aspekte derselben Sache, wie ich mit dem Wirt über die Nord- und Südseite seines Baumes hätte sprechen können. Wenn wir eine Frau begehren, lernen wir sie bald zu lieben, weil sie sich uns gönnerhaft unterwirft (dies war auch die ursprüngliche Grundlage meiner Liebe zu Thecla); wenn wir sie begehren, unterwirft sie sich zumindest in Gedanken, so daß ein Element von Liebe stets vorhanden ist. Wenn wir sie andrerseits lieben, werden wir sie bald begehren, denn etwas Anziehendes sollte jede Frau besitzen – daß sie ganz ohne Reize wäre, diese Vorstellung wäre uns unerträglich; so begehren Männer sogar Frauen mit gelähmten Beinen und Frauen solche Männer, die außer mit Männern wie sie selbst impotent sind.
    Aber niemand vermag zu sagen, woraus das, was wir (fast beliebig) Liebe oder Begehren nennen, entspringt. Als Agia über die Treppe kam, war die eine Gesichtshälfte vom letzten Tageslicht erhellt, während die andere im Schatten lag; ihr Rock, fast bis zur Hälfte geschlitzt, ließ ihre seidigen Schenkel durchscheinen. Und alles, was ich vorhin, als ich sie zurückgestoßen hatte, an Gefühl für sie verloren haben mochte, kam doppelt und dreifach zurück. Sie sah das in meinem Gesicht, und Dorcas, die ihr unmittelbar folgte, sah es ebenfalls und blickte zur Seite. Aber Agia zürnte mir noch (vielleicht berechtigterweise), auch wenn sie um des Anstands willen lächelte und das Brennen in ihren Lenden nicht verbergen konnte, obgleich sie sich sehr zurückhielt.
    Ich glaube, hierbei entdecken wir den wahren Unterschied zwischen solchen Frauen, denen wir, wollen wir Männer bleiben, unser Leben opfern müssen und solchen, die wir (wiederum – wenn wir Männer bleiben wollen) überwältigen und überlisten müssen, falls uns das gelingt, und behandeln, wie wir kein Tier behandelten: letztere werden nie zulassen, daß wir ihnen geben, was wir den ersten schenken. Agia genoß meine Bewunderung und wäre durch meine Zärtlichkeiten in Ekstase geraten; aber selbst wenn ich mich hundertmal in sie ergossen hätte, wären wir als Fremde voneinander gegangen. All das wurde mir klar, als sie die letzten Stufen herabstieg, mit einer Hand das Mieder zusammenhaltend, in der anderen die Averne am Stock tragend, den sie wie einen Amtsstab und eine Schulmeisterrute führte. Und dennoch liebte ich sie oder hätte sie geliebt, wenn ich gekonnt hätte.
    Der Knabe kam angerannt. »Trudo ist fort, sagt die Köchin. Sie holte draußen Wasser, weil das Mädchen nicht da war, und sah ihn davonlaufen. Seine Sachen sind auch nicht mehr im Stall.«
    »Also abgehauen«, meinte der Wirt. »Wann ist er davon? Eben erst?« Der Knabe nickte.
    »Hat gehört, daß Ihr was von ihm gewollt habt, Sieur, befürchte ich. Einer von den anderen hat wohl mitbekommen, wie Ihr mich nach dem Namen gefragt habt, und es ihm rasch erzählt. Hat er Euch bestohlen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Er hat mir nichts Böses getan. Eher hat er mir etwas Gutes tun wollen, schätze ich. Bedaure,

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