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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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daß ich dem Haus einen Diener gekostet habe.«
    Der Wirt wehrte mit den Händen ab. »Bald wäre sein Zahltag gewesen, also hab' ich nichts verloren.«
    Als er sich abwandte, flüsterte Dorcas: »Und ich bedauere, daß ich dich oben um dein Vergnügen gebracht habe. War nicht meine Absicht. Aber ich liebe dich, Severian.«
    Ganz in der Nähe schallte eine silberhelle Fanfare zu den wiedererwachenden Sternen.

Ist er tot?
    Der Blutacker, von dem alle meine Leser schon gehört haben werden, obzwar ihn einige hoffentlich noch nie besucht haben, liegt nordwestlich der bebauten Viertel unserer Hauptstadt Nessus zwischen einer Wohnenklave städtischer Waffenträger und den Kasernen und Stallungen des Xenagie von den Blauen Dimarchi. Er befindet sich so nahe an der Mauer, daß es einem wie mir, der noch nie so nahe bei ihr gewesen ist, sehr nahe vorgekommen ist, obwohl ihn viele Meilen harten Fußweges über gewundene Straßen vom eigentlichen Fundament trennen. Wie viele Kämpfe dort untergebracht werden können, das weiß ich nicht. Die Zäune, welche die einzelnen Kampfareale abgrenzen – an die sich die bald darauf sitzenden, bald daran lehnenden Zuschauer drängen – können wohl, dem abendlichen Bedarf entsprechend, verstellt werden. Ich habe diesen Ort nur einmal besucht, der mir mit seinem zertrampelten Gras und dem stummen, lustlosen Publikum ein besonders wunderlicher und trauriger scheint.
    Während der kurzen Zeit, in der ich auf dem Thron gesessen habe, sind viele Angelegenheiten von größerer unmittelbarer Dringlichkeit als die Monomachie gewesen. Ob gut oder schlecht (wobei ich zu letzterem neige), sicherlich ist sie unausmerzbar in einer Gesellschaft wie der unsrigen, die um des eigenen Überlebens willen die militärischen Tugenden mehr als alle anderen pflegen muß, und in der so wenige waffenkundige Gefolgsleute des Staates zur Überwachung der öffentlichen Ordnung entbehrt werden können.
    Doch ist sie wirklich schlecht?
    Jene Epochen, in denen sie verpönt war (und davon gab es Hunderte, wie ich las), ersetzten sie größtenteils durch Mord – durch genau solche Morde, die zu verhindern, die Monomachie im großen ganzen geschaffen schien: Morde aufgrund von Zwistigkeiten in Familien, zwischen Freunden und Bekannten. In solchen Fällen sterben statt einem Menschen zwei, denn das Gesetz verfolgt den Mörder (zu dem er nicht aus Veranlagung, sondern bedingt durch die Umstände geworden ist) und ermordet ihn, als könnte sein Tod dem Opfer das Leben wiederschenken. Würden also, sagen wir, tausend legale Duelle zu tausend Toten führen (was sehr unwahrscheinlich ist, da solche Kämpfe zum größten Teil nicht tödlich enden), aber fünfhundert Morde verhindern, verlöre der Staat nichts.
    Ferner wäre der Überlebende eines solchen Kampfes wohl der geeignetste Bürger zur Verteidigung des Landes und der für die Zeugung gesunder Kinder tauglichste; während es bei den meisten Morden keine Überlebenden gäbe, und der Mörder (überlebte er) wohl nur heimtückisch und nicht stark, flink oder intelligent wäre.
    Und doch – wie gern wird diese Einrichtung für Intrigen missbraucht.
    Wir waren noch zweihundert Schritte entfernt, als wir neben dem Quaken der Baumfrösche die Namen hörten, die laut und feierlich ausgerufen wurden.
    »Cadroe von den Siebzehn Steinen!«
    Sabas von den Geteilten Auen!«
    »Laurentia vom Haus der Harfe!« (Dies in einer Frauenstimme.)
    »Cadroe von den Siebzehn Steinen!«
    Ich fragte Agia, wer diese Rufenden seien.
    »Sie wurden herausgefordert oder haben selbst herausgefordert. Indem sie ihre Namen ausrufen – oder dies durch einen Diener tun lassen – verkünden sie der Welt, daß sie erschienen seien, ihre Gegner allerdings nicht.«
    »Cadroe von den Siebzehn Steinen!«
    Die untergehende Sonne, deren Scheibe nun zu einem Viertel hinter der undurchdringlichen Schwärze der Mauer verborgen lag, hatte den Himmel bernsteingelb, kirschrot, zinnoberrot und blaßlila getönt. Diese Farben, die auf das Gedränge der Kämpfer und Schaulustigen abstrahlten, wie in Kunstwerken das goldene Licht der göttlichen Gunst die Hierarchen umspielt, verlieh ihnen einen vergeistigten und zauberhaften Anschein, als wären sie alle soeben durch das Schwenken eines Tuches entstanden und würden sich beim ersten Pfiff wieder in Luft auflösen.
    »Laurentia vom Haus der Harfe!«
    »Agia«, sagte ich, und in der Nähe vernahmen wir ein Röcheln, wie es ein Sterbender von sich gibt. »Agia, bitte

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