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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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nickte ich; der Wirt schenkte ihr ein. Mit beiden Händen wie ein Kind nahm sie das Glas. Ich erkundigte mich beim Wirt, ob er seinen Gästen Schreibutensilien zur Verfügung stelle.
    »Ihr wollt ein Testament machen, Sieur? Kommt mit mir – wir haben ein eigenes Stübchen dafür. Es ist kostenlos, und wenn Ihr wollt, kann ich einen Knaben stellen, der das Schriftstück Eurem Testamentsvollstrecker überbringt.«
    Ich nahm mein Terminus Est und folgte ihm, während Agia und Dorcas zurückblieben, um meine Averne zu bewachen. Das Schreibstübchen, mit dem unser Wirt geprahlt hatte, war auf einem dünneren Ast angebracht und kaum groß genug für das Pult, aber mit einem Stuhl, Kielfeder, Papier und einem Tintenfaß ausgestattet. Ich nahm Platz und schrieb den Inhalt des Zettels nieder; soweit ich das beurteilen konnte, handelte es sich um das gleiche Papier, und die Tinte ergab die gleichen schwarzen, etwas blassen Striche. Als ich mein Gekritzel mit Sand bestreut hatte, faltete ich es, steckte es in ein Fach meiner Gürteltasche, das ich selten benutzte, sagte dem Wirt, einen Botenjungen brauche ich nicht, und fragte, ob er einen gewissen Trudo kenne.
    »Trudo, Sieur?« Er runzelte die Stirn.
    »Ja, ein nicht allzu seltener Name.«
    »Gewiß, Sieur, das weiß ich. Es ist nur, daß ich überlege, ob ich jemanden kenne, der zugleich, wenn Ihr mich versteht, Sieur, von Eurer beglückten Stellung. Ein Waffenträger oder ...«
    »Jeder«, sagte ich. »Jeder x-beliebige. Es heißt nicht zufällig der Kellner, der uns bedient hat, so?«
    »Nein, Sieur. Sein Name ist Ouen. Ich hatte einmal einen Nachbarn, der Trudo hieß, aber das war vor Jahren, bevor ich dieses Gasthaus kaufte. Ich nehme nicht an, daß Ihr hinter dem her seid? Dann wäre da noch mein Stallknecht – er heißt Trudo.«
    »Ich möchte ihn sprechen.«
    Der Wirt nickte, wobei sein Kinn in den Speckfalten seines Halses verschwand. »Wie Ihr wünscht, Sieur, auch wenn er Euch wahrscheinlich nicht viel sagen kann.« Die Stufen knarrten unter seinem Gewicht. »Er kommt vom tiefen Süden, müßt Ihr wissen.« (Er bezog sich auf die südlichen Stadtviertel, nicht das wilde, größtenteils baumlose Land an der Eisgrenze.) Und von jenseits des Flusses obendrein. Ihr werdet nicht viel Vernünftiges aus ihm herausbekommen, obschon er ein fleißiger Bursche ist.«
    Ich sagte: »Ich danke, ich weiß, von welchem Stadtteil er kommt.«
    »Ach wirklich? Nun, das ist ja interessant, Sieur. Sehr interessant. Manche Leute können das angeblich dadurch erkennen, wie jemand gekleidet ist oder spricht, aber ich habe nicht geahnt, daß Ihr Trudo zu Gesicht bekommen habt.«
    Wir waren fast unten angelangt, als er brüllte: »Trudo! Tr-u-u-do!«
    Dann: »REINS!«
    Keiner meldete sich. Eine tafelgroße Steinplatte lag am Fuß der Treppe, über die wir nun hinaustraten.
    Es war gerade jener Moment gekommen, wo die länger werdenden Schatten gar keine Schatten mehr sind, sondern schwarze Flecken, als würde dem Erdboden eine Brühe, noch dunkler als der Vogelsee, entströmen. Hunderte von Menschen eilten, aus der Stadt kommend, einzeln oder in Grüppchen über die Wiese vorüber. Alle wirkten gespannt, von einem Eifer gebeugt, den sie wie eine Last auf Schultern und Rücken trugen. Die meisten waren unbewaffnet, wie ich sehen konnte, manche hatten ein Rapierfutteral bei sich und in einiger Entfernung konnte ich die weiße Blüte einer Averne ausmachen, die an einem Stab oder Stock wie dem meinigen befestigt war.
    »Schade, daß sie nicht hier verweilen«, bedauerte der Wirt. »Nicht daß ich ein paar davon auf dem Rückweg nicht bekäme, aber ein Mahl vorher ist's, wo das Geld drinsteckt. Ich spreche offen, denn wie ich sehe, seid Ihr – mögt Ihr auch noch jung sein, Sieur – nicht dumm und wißt, daß jedes Geschäft wegen des Profits betrieben wird. Ich bemühe mich um eine gute Gegenleistung, und wir haben, wie gesagt, eine berühmte Küche. – Tr-u-do! – Die brauche ich, denn kein anderes Essen will mir bekommen – ich müßte verhungern, Sieur, müßte ich essen, was bei den meisten auf den Tisch kommt. – Trudo, du Lausekerl, wo steckst du?«
    Ein schmutziger Knabe kam um den Baumstamm gelaufen.
    Während er sich die Nase am Ärmel abwischte, sagte er: »Er ist nicht hinten, Herr.«
    »Wo ist er denn? Geh, such ihn!«
    Ich beobachtete noch die vorüberziehende Volksmenge. »Sie alle gehen also zum Blutacker?« Zum ersten Mal wurde mir wohl völlig bewußt, daß ich

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