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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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diese mir verloren waren – oder vielmehr, daß ich ihnen verlorengegangen war. Ein Affe mit einem Hundeschädel lief durch den Gang, blieb an meinem Bett stehen, um mich anzusehen, und eilte dann weiter. Dieser Zwischenfall schien mir genauso selbstverständlich wie das Licht, das durch ein Fenster, welches ich nicht sehen konnte, auf meine Bettdecke fiel.
    Wieder erwachte ich und setzte mich auf. Einen Moment lang war ich wirklich überzeugt, daß ich in unserem Schlafsaal lag, daß ich Lehrlingswart war und daß alles andere – meine Maskierung, Theclas Tod, das Avernenduell – nur ein Traum gewesen wäre. Dies war nicht das letzte Mal, daß mir so etwas passierte. Dann bemerkte ich, daß die Decke mit Mörtel verputzt und nicht wie unsre vertraute aus Metall war und daß der Mann im Bett neben mir mit Verband eingewickelt war. Ich warf die Bettdecke zurück und schwang meine Füße auf den Boden. Dorcas kauerte schlafend mit dem Rücken zur Wand am Kopfende meines Bettes. Sie hatte sich in den braunen Umhang gehüllt; Terminus Est lag quer auf ihrem Schoß, und Heft und Scheidenspitze lugten zu beiden Seiten aus meinen zum Bündel gefalteten Habseligkeiten hervor. Es gelang mir, die Stiefel und Strümpfe, die Kniehosen, den Mantel und den Gürtel mit seiner Tasche zu nehmen, ohne sie aufzuwecken, aber als ich die Hand ans Schwert legte, begann sie zu murmeln und klammerte sich daran fest, so daß ich es bei ihr ließ.
    Viele von den Kranken waren wach und starrten mich an, aber keiner sagte etwas. Eine Tür am Ende des Saals führte zu einer Treppe, über die man in einen Hof gelangte, wo Streitrosse den Boden stampften. Zunächst war mir, als träumte ich noch: der Cynocephalus kletterte über die Mauerzinnen. Jedoch war dieses Tier ebenso echt wie die auf dem Gebiß kauenden Renner, und als ich ihm einen Brocken zuwarf, bleckte er die Zähne genauso beeindruckend wie Triskele.
    Ein Reiter mit einer Halsberge kam in den Hof, um etwas aus seiner Satteltasche zu holen, und ich hielt ihn auf und erkundigte mich, wo ich sei. Er vermutete, ich wolle wissen, in welchem Teil der Festung, also zeigte er auf einen Turm, hinter dem sich, wie er sagte, der Justizpalast befinde; wenn ich mit ihm käme, fuhr er fort, könnte ich wohl etwas zu essen bekommen.
    Als er das erwähnte, bemerkte ich, daß ich halb verhungert war. Ich folgte ihm durch einen dunklen Gang in einen viel niedrigeren und finstereren Raum als der Krankensaal, wo drei oder vier Dutzend Dimarchi wie er selbst über ihrem Mahl aus frischem Brot, Fleisch und gekochtem grünen Gemüse saßen. Mein neuer Freund riet mir, einen Teller zu nehmen und den Köchen zu sagen, ich sei angewiesen worden, mir hier mein Essen zu holen. Ich tat das, und obschon sie wegen meines schwarzen Gildenmantels große Augen machten, bedienten sie mich widerspruchslos.
    Waren die Köche auch gleichgültig, die Soldaten waren die Neugier in Person. Sie fragten mich nach meinem Namen, meiner Herkunft und meinem Rang (denn sie hielten unsere Zunft für militärisch organisiert). Wo ich meine Axt hätte, wollten sie wissen, und als ich ihnen mitteilte, wir benützten das Schwert, wo dieses sei; ich erklärte ihnen, ich hätte eine Frau bei mir, die es bewache, woraufhin sie mich warnten, daß sie mit ihm davonrennen könnte, und mir rieten, ihr unter dem Mantel etwas Brot zu bringen, da ihr der Zutritt zum Speisesaal verwehrt sei. Ich erfuhr, daß jeder dieser älteren Männer hin und wieder Frauen unterstützte – Marketenderinnen der wohl nützlichsten und harmlosesten Art –, obwohl momentan nur die wenigsten solchen Anhang hätten. Den ganzen Sommer über hätten sie im Norden Schlachten gefochten und lägen nun in Nessus im Winterquartier, wo sie als Ordnungskräfte eingesetzt würden. Nun stehe wieder die Verlegung in den Norden im Laufe dieser Woche an. Ihre Weiber seien in die Heimatdörfer zu Eltern oder Verwandten zurückgekehrt. Ich fragte, ob die Frauen nicht lieber mit in den Süden gefolgt wären.
    »Und ob«, antwortete mein Freund. »Natürlich. Aber wie könnten sie? Es ist eine Sache, einer Reiterei zu folgen, die sich mit dem Heer nordwärts kämpft, denn sie macht bestenfalls höchstens ein, zwei Meilen am Tag, und wenn sie drei in einer Woche schafft, kannst du wetten, daß sie in den nächsten wieder zwei verliert. Aber wie könnten sie auf dem Rückweg zur Stadt mit uns Schritt halten? Es ist besser, wenn sie auf uns warten. Wenn ein neuer Xenagie in unsern

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